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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition)
Autoren: Hermann Kant
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halte nicht am Blutgerüst.
    Bedingungen, welch ein Luxus. Fast bedingungslos übergab ich anderen die Rakowiecka. Oftmals war die bedingungslose Kapitulation in dem Haus, das ich hoch im eisernen Wagen verließ, verworfen worden. Nun verwarf ich nichts, nun warf ich mich der Freiheit zu in einer armierten Kutsche. Stieg eben weit genug ein, um nicht die bewehrte Tür mit dem ungeschützten Rücken zu fangen. Kaum war ich an Bord, nahm die Fähre Kurs. Mit dem Diesel kam ein Lämpchen zu Leben. Leuchtete den Gang nicht aus, in dem ich stand, markierte seine Mitte. Ließ mich sehen, daß sich im Gang noch wer befand. Gleich fern vom hellen Zentrum, wie ich ihm fern war. Ein Wächter? Die fuhren nicht stehend, wo sie sitzend fahrenkonnten. Ich aber fuhr stehend, wo ich sitzend hätte fahren sollen. Sie hatten mir keinen Verschlag geöffnet. Auch nicht der Person, die sich bugwärts am anderen Ende des Ganges aufhielt. Das war kein Wächter. Die stehen nicht lautlos. Sie zeigen dir, daß sie es dir zeigen werden. Sie sagen dir, was alles du nicht darfst. Ein Beitrag zur Erziehung des Menschengeschlechts.
    Wen schert, wer mitfährt, wenn die Goldene Minna fort von der Rakowiecka fährt. Der Rechtskurve nach, die einer Linkswendung folgt, über die Aleja Niepodległości. Über die Unabhängigkeitsallee. Ühüber den Rhein. Brühüder, laßt uns Freunde sein. Und wenn nicht über den Rhein, so doch fort von der Rakowiecka. Dennoch: Wer verharrt reglos am Bug, wie ich lautlos am Heck verharre? Wer mag da im Walbauch so mit mir reisen? Wer steht hinterm Lichte stumm, wo ich hier lustvoll in mich schreie?
    Ich möchte nicht beweisen müssen, daß es das Wandervogellied gewesen ist, was ich mir zuschrie. Auch wenn es zum Sangesgut gehörte, das mich beherrschte. Erweislich gilt, es war im ganzen ein wenig viel für mich. Nicht daß es mir zu viel gewesen wäre. Nur her damit. Nur her mit jedem Meter und jedem Kilometer zwischen mich und die immergrüne Minna einerseits und ganz und gar andererseits jenes Gefängnis, welches das Zentralgefängnis meines Lebens bleiben soll. Ich weiß, wie wenig in dieser Hinsicht schon aller Tage Abend ist, doch hindert es mich nicht, den Tag zu loben, an dem man mich im Blechgehäuse aus dem Backsteinhaus in die hölzerne Baracke schaffte. Die im Verein mit ähnlichen Baracken weit und breit nicht nur das einzige Bauwerk abgab, sondern auch das einzige Holz. Ganz ähnlich der hohen Mauer um das Areal, die weit und breit das einzige zusammenhängende Mauerwerk war.
    Wo man hinsieht, zeigt sich meine Neugier. Besonders neige ich zu der, wenn ich nichts sehe. Oder nur undeutlich. Unbedingt wollte ich wissen, wer im dunklen Transportkastengang die Funzel mit mir teilte. Und reglos am Fahrerhaus stand wie ich am Passagierluk. So regte ich mich. Bewegte mich, der grobianischen Wärter allzeit gewärtig, auf die hellere Wagenmitte zu. Unterm Lämpchen hindurch, bis ich vormir ein zages Leuchten sah. Ferne Lichtung in vorherrschendem Dunkel. Spärliche Lux im matten Spiegel. Ein müder Reflex verflackernder Hefnerkerzen. Grauer Fleck in eingeschwärzt Grüner Minna. Von einem Gesicht die Teilansicht. Ein Mensch in einem winzigen Stücke. Zu dem sich der Rest umso besser denkt, je weniger weitere Welt vorhanden ist.
    Befund: Die Grüne Minna, welche sich auf dem Weg von Mokotów nach Muranów befindet, befördert außer mir halbwegs männlicher Person eine Person, deren Weiblichkeit sich bei den gegebenen Lichtverhältnissen nur ahnen läßt. Und keinem Zweifel unterliegt. Von mir auf das Ganze geschlossen, ist der Mensch insoweit Cousin oder Cousine der Fledermaus, wie er gleich dieser über ein Ortungssystem verfügt. Er braucht kein Flutlicht, das korrespondierende Geschlecht zu erfassen. Nicht schwarz auf weiß, nicht weiß auf schwarz entstehen ihm Gegenbilder. Sein Infrarot, sein Wärmesensor melden lasergetreu, mit wem er es zu tun hat. Ping! singt das Warn-und-Erwärm-System aus, Weib voraus! Wie es, nehme ich an, dem Weibe entsprechend signalisiert: Ping! ein Kerl in nächster Nähe!
    Nicht um die Leistung meiner Mitpassagierin zu schmälern, sei es gesagt: Ihr wurde die Identifizierung des Objekts leichter als mir. Sie war schon durchs Luk, als es hinter mir ins Schloß fiel. Ich hatte den Tag zum Hintergrund, sie die Rückwand des Fahrerhauses. Sie konnte mir entgegensehen, wo ich sie nur ahnte. Sie war mit ihrer Angst länger allein als ich mit meiner Fröhlichkeit.
    Ein Glück, daß meine
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