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Öl!

Titel: Öl!
Autoren: Upton Sinclair
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und von Blitzen gespalten, oder Lebenseichen, die in anmutigen Gruppen zusammenstanden wie in englischen Parks. Oben auf den Gipfeln hielt sich nur Gestrüpp, jetzt frisch im kurzen Frühlingsgrün, Mesquiten, Salbei und andere Wüstenpflanzen, die gelernt hatten, rasch zu erblühen, solange es Wasser gab, und dann die lange, glühend heiße Trockenzeit durchzustehen. Sie waren getüpfelt mit orangefarbenen Flecken von Teufelszwirn, einer Pflanze, die mit langen, maisbartähnlichen Fäden ein Kleid über die Nachbarpflanzen webte. Die starben dann ab – doch gab es noch viele davon.
    Einige Berge bestanden nur aus Felsen in unendlich vielen verschiedenen Farben. Manche Oberflächen waren gesprenkelt und gefleckt wie Tierfelle – gelbbraune Leoparden und rot-graue oder schwarz-weiße Geschöpfe, deren Namen keiner kannte. Es gab Berge nur aus Geröll, wie von kämpfenden Riesen verstreut, und übereinandergestapelte Felsblöcke, als hätten die Kinder dieser Riesen die Lust am Spielen verloren. Manche Felsen spannten sich wie Kirchengewölbe über die Straße. Hinter einem solchen Bogen erblickten sie in der Kurve plötzlich eine gähnende Schlucht, vor der sie nur eine starke, weiße Brüstung schützte. Von oben aus den Wolken kam ein großer Vogel gesegelt, legte die Schwingen zusammen, als sei er abgeschossen worden, und tauchte in den Abgrund. «War das ein Adler?», fragte der Junge. «Ein Bussard», antwortete Dad, dem jede romantische Ader fehlte.
    Höher und höher stiegen sie, und der Motor schnurrte gleichbleibend leise. Unterhalb der Windschutzscheibe befanden sich kompliziert angeordnete Skalen und Messgeräte, ein Tachometer mit einem kleinen roten Strich, der genau anzeigte, wie schnell man fuhr, eine Uhr, eine Ölanzeige, eine Gasanzeige, ein Amperemeter und ein Thermometer, das bei einem solch hohen Pass wie diesem langsam nach oben kletterte. All dies hatte Dad in seinem Kopf, einer noch viel komplizierteren Maschinerie. Denn was waren schließlich neunzig Pferdestärken, verglichen mit einer Million Dollarstärken? Ein Motor konnte kaputtgehen, aber Dads Verstand arbeitete mit der Zuverlässigkeit einer Sonnenfinsternis. Pünktlich um zehn Uhr waren sie auf der Passhöhe, und dem Jungen war zumute wie jenem alten Bauern, der mit seiner neuen goldenen Uhr frühmorgens auf der Veranda steht und sagt: «Wenn die Sonne jetzt nicht in drei Minuten aufgeht, hat sie sich verspätet.»
    3
    Aber etwas ging schief und brachte ihren Zeitplan durcheinander. Sie gerieten in Nebel, und kalte weiße Schleier wischten ihnen übers Gesicht. Man konnte noch ganz gut sehen, aber die Straße war feucht und lehmverschmiert, eine Kombination, die auch den geschicktesten Autofahrer hilflos macht. Dad mit seinem scharfen Blick hatte das sofort bemerkt und fuhr langsamer – zum Glück, denn der Wagen begann zu schlittern und stieß fast gegen die weiße Holzbarriere am äußeren Rand.
    Sie fuhren wieder los und krochen nun im ersten Gang dahin, sodass sie schnell abbremsen konnten; fünf Meilen zeigte der Tachometer, dann drei, dann kamen sie erneut ins Rutschen und Dad sagte: «Verdammt.» Lange würden sie das nicht durchhalten, das wusste der Junge. «Ketten», dachte er, und in einer Innenkehre, in der sie (für die Autos) aus beiden Richtungen gut zu sehen waren, blieben sie dicht an der Bergflanke stehen. Der Junge öffnete die Tür auf seiner Seite und sprang hinaus, der Vater stieg gravitätisch aus, zog den Mantel aus, legte ihn auf den Sitz, schlüpfte aus der Jacke und legte sie ebenfalls sorgfältig ab, denn die Kleidung war Teil der Würde eines Mannes, ein Symbol für seinen Aufstieg im Leben, und durfte nie beschmutzt oder zerknittert werden. Er knöpfte die Manschetten auf und krempelte die Ärmel hoch – und der Junge ahmte jede seiner Bewegungen nach. Hinten am Wagen gab es einen flachen Kasten mit einer schrägen Abdeckung, die Dad mit einem Schlüssel öffnete, einem von zahlreichen Schlüsseln, die er alle genau kannte, jeder ein Symbol für Leistung und Ordnung. Dad holte die Ketten heraus und befestigte sie an den Hinterreifen, dann wischte er sich die Hände an den nebelfeuchten Pflanzen am Straßenrand ab. Der Junge tat es ihm gleich; ihm gefiel die Kälte der glitzernden Wasserkügelchen. In dem Kasten lag auch ein sauberes Tuch zum Händeabtrocknen, das gelegentlich durch ein frisches ersetzt wurde. Beide zogen ihre Mäntel wieder an, nahmen Platz, und das Auto machte sich auf den Weg, ein
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