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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Autoren: Batya Gur
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rauf«, rief Linda vom Fuße der Leiter aus und begann hinaufzuklettern. Michael schrak zusammen, als er die Berührung ihres Fingers auf seiner Schulter von hinten spürte. Er fuhr herum und sah die lange Zigarette, die sie ihm wie üblich mit beschwichtigender Geste anbot. Obwohl er sie ansonsten wegen ihres abscheulichen Mentholgeschmacks immer abgelehnt hatte, nahm er sie jetzt an, vielleicht weil die modrige Luft seine Sinne völlig abgestumpft hatte. Linda, die Maklerin, die Michael als einen zaudernden und zugleich leichtsinnigen Kunden kennen gelernt hatte, beugte sich zu ihm vor, darauf bedacht, die Leiche nicht anzuschauen, und entzündete die Zigarette, deren Enden jeweils ein Goldstreifen zierte.
    »Sie gehen besser hinunter«, sagte Michael, »oder haben Sie mit diesem Haus auch etwas zu tun? Haben Sie es verkauft?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne es, aber man hat es einem großen Büro in der Innenstadt gegeben«, flüsterte sie.
    »Sie können jetzt gehen, ich werde Sie später anrufen«, erwiderte er. Sie nickte gehorsam, ängstlich bemüht, den Kopf von der Leiche abgewandt zu halten, und kletterte die Leiter hinun ter.
    Balilati murrte weiter, lamentierte und erregte sich über die ihm zugefügte Kränkung, und sein permanentes Gemurmel verfing sich im begrenzten Raum des Ziegeldachs, unter dem man nur direkt in der Mitte aufrecht stehen konnte. Staubkörnchen tanzten im Lichtstrahl des Scheinwerfers nach oben, einer von den dreien, den die Kollegen von der Spurensicherung in den Speicherecken aufgestellt hatten, um den Tatort auszuleuchten. Balilati ließ nur momentan von Michael ab, wenn etwas seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Danach stellte er sich unverzüg lich wieder neben ihn und murmelte Sätze von der Art wie gerade jetzt: »Da gehen die Leute hin und kaufen Häuser! Na bitte, da hast du’s, da siehst du’s ja, die hat sich ein Haus gekauft und eine Leiche gefunden.«
    »Fertig?«, fragte der Arzt Alon von der Spurensicherung, und Alon nickte schwach. »Nur mit Fotografieren«, antwortete er dann und legte die Kamera äußerst zartfühlend zwischen seinen Füßen ab. Dr. Solomon versuchte, die Beine der Frau zu strecken. Auch angewinkelt, in glänzenden Strümpfen mit Goldfasern, die im Scheinwerferlicht glitzerten und einen Streifen brauner Haut durch einen Riss freigaben, konnte man sehen, wie lang und wohlgeformt sie waren. Sie lag in dem eng angeschmiegten grauen Wollkleid auf der staubigen Betonfläche in der Pose eines Filmsternchens, das gebeten worden war, eine Tote darzustellen. Zwischen den glatten schwarzen Haaren, die ihren Kopf wie ein dunkler Schein krönten, glänzten blutgetränkte Strähnen, und man hätte sich ganz leicht vorstellen können, dass die verunstaltete Gesichtsmasse nichts anderes als raffinierte Schminke war. Die Lichtkegel der Scheinwerfer verdunkelten und verschärften die Konturen und verliehen den Wassertanks den Anschein vorzeitlicher Ungeheuer.
    »Du kennst sie«, sagte Balilati, halb Frage, halb Feststellung, und wies mit dem Kopf in Richtung des unteren Stockwerks, wo Ada Levi wartete.
    »Wir waren zusammen in der Schule«, antwortete Michael hastig, bevor Balilati sich erkundigen würde, ob er auch mit ihr »was gehabt hatte«.
    »Hast du auch mit ihr was gehabt?«, fragte Balilati prompt.
    »Red keinen Blödsinn«, erwiderte Michael scharf.
    »Sag so was nicht, wer redet hier Blödsinn, welchen Blödsinn denn«, protestierte Balilati mit der Grimasse eines Lächelns, »in dieser Stadt gibt’s doch überhaupt keine Frauen mehr, die nicht vor dir auf die Knie gefallen wären, die sagen, dass du ... du weißt schon, sie reden von deinen Augen und diesem ganzen Zeug. Ich hab gesehen, wie sie dich angeschaut hat. Und auch diese Maklerin, die ...«
    »Jetzt hör schon auf damit«, unterbrach ihn Michael und wedelte mit dem Arm.
    »Wer hat die Wohnung für dich gefunden, sie?« Balilati machte mit seinem Kopf eine Geste zur Leiter hin, die Linda O’Brian zuvor hinuntergeklettert war, und legte seine Hand auf das gelbe Band, das um den Tatort gespannt war.
    Michael gab keine Antwort.
    »Ich kenn sie nicht, was ist das für eine? Sie schaut komplett gaga aus, ist sie ein ernst zu nehmender Mensch? So? Mit diesem Nachthemd, in dem sie herumläuft? Ist sie bei der Maklervereinigung registriert?«
    Michael nickte und knetete die Mentholzigarette zwischen seinen Fingern. »Sie sieht nur so aus ... es ist übrigens kein Nacht hemd. Und überhaupt, das
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