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Nur ein Märchen?: Gratisaktion bis 15.10.2013!

Nur ein Märchen?: Gratisaktion bis 15.10.2013!

Titel: Nur ein Märchen?: Gratisaktion bis 15.10.2013!
Autoren: Lucie Tourmalin
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Arm.
    „ Ach, Liebes, du beendest erst einmal die Sache mit dem nack – mit Walter. Und dann…“ Ja, was dann? Emily sieht mich mit rotgeränderten Augen an, eine Haarsträhne hängt ihr ins Gesicht, doch es scheint sie nicht zu stören.
    „ Meinst du, ich muss es Nils sagen?“, flüstert sie. Ich denke nach. Schwierig. Aber eindeutig. „Ja. Ihr wollt heiraten. Du willst doch deine Ehe nicht auf einer Lüge aufbauen“, sage ich schließlich langsam. Sie zuckt zusammen. „Aber was, wenn er mich dann verlässt?“ Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. „Wenn er mich nicht mehr heiraten will?“
    „ Machen wir uns nichts vor, er wird sich nicht darüber freuen. Aber es wäre unfair, ihm nichts zu sagen.“ Sie nickt.
    „ Sieh mal, wenn du es ihm nicht sagst“, fahre ich fort, „dann schleppst du das immer mit dir herum. Und du lebst ständig in der Angst, dass er es vielleicht doch noch herausfindet. Und stell dir mal vor, er erfährt es in ein paar Jahren. Dann wird er dir nicht nur den Betrug vorwerfen, sondern auch, dass du es ihm verheimlicht hast. So kann er jetzt entscheiden, ob er mit dir zusammenbleiben will oder nicht. Aber du spielst mit offenen Karten.“ Ich lege den Arm um ihre Schultern, in der Hoffnung, ihr so Mut zu machen und sie zu trösten. „Du schaffst das.“
    Emily sieht mich an, zieht die Nase hoch und versucht ein schiefes Grinsen. „Kann ich nicht noch warten, bis du wieder da bist? Ich glaube, ich brauche deine Unterstützung! Ich sage es ihm nächstes Wochenende.“
    „ Nein“, entgegne ich energisch, „das ist wichtig. Du kannst nicht noch eine Woche verstreichen lassen. Morgen gehst du zu Nils und sprichst mit ihm. Ich bin auf dem Handy erreichbar. Wenn du hier nicht klarkommst, rufst du mich an. Und wenn das nicht reicht, dann komme ich halt früher zurück.“
    Sie schließt die Augen, atmet tief ein und dann ganz langsam aus, dreimal hintereinander, das ist ihr Ritual in Stress-Situationen. „In Ordnung. Alles wird gut.“
    Ich lache und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. „Genau, alles wird gut. Weißt du noch, dieses Buch, das ich mal gelesen habe, über Autosuggestion? Man muss sich nur immer wieder selbst sagen, was man möchte, dann glaubt man daran und schließlich wird es auch so. Alles wird gut. Alles. Wird. Gut.“
    Anschließend sitzen wir noch eine Weile zusammen und sehen fern, aber keine von uns sieht richtig hin. Wir hängen beide eigenen Gedanken nach. Schließlich gehe ich in mein Zimmer und packe meine Tasche für die anstehende Reise nach Worms. Da ich direkt von der Arbeit aus zum Bus gehen werde, muss ich meinen Koffer heute Abend noch fertig packen.
    Aber ich bin total neben der Spur, kann mich nicht auf das Packen konzentrieren. Ich stopfe wahllos Kleidungsstücke in den Koffer und mache mich bettfertig. Als ich im Bett liege, kann ich nicht einschlafen.
     
     
     

Sonntag
     
     
    Geschafft. Ich sitze im Bus neben George, der mich immer wieder vergnügt ansieht. Er freut sich wirklich wie ein kleines Kind auf diese Exkursion. Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen, habe im Halbschlaf wirre Gedanken gehabt und fühle mich ziemlich gerädert.
    Nicht nur Emilys Affäre hielt mich wach, auch das gestrige Telefonat mit meiner Mutter kam mir immer wieder in den Sinn. Wie traurig sie geklungen hat, als sie sagte, Oma Gerda habe keinen guten Tag. In letzter Zeit hat sie fast nur noch schlechte Tage.
    Angefangen hat alles mit Kleinigkeiten, die Oma sich nicht mehr merken konnte. Wir haben uns oft darüber lustig gemacht, ich erinnere mich noch gut, wie Papa mal leicht genervt zu ihr sagte: „Mutter, wenn du deinen Kopf suchst, der sitzt auf deinen Schultern. Genau in der Mitte.“ Sie konnte mal wieder ihre Schlüssel nicht finden.
    Auch Namen verwechselte sie immer öfter. Als sie dann eines Tages mit dem Bus mehrere Stunden lang durch die Stadt fuhr, von einer Endstation zur anderen und wieder zurück, und der Busfahrer die in Tränen aufgelöste, orientierungslose Frau schließlich fragte, ob alles in Ordnung sei und die Polizei benachrichtigte, merkten wir, dass es doch etwas Schlimmeres sein musste als nur Schusseligkeit.
    Die Diagnose: Demenz. Von da an konnte Oma nicht mehr alleine wohnen und sie zog bei meinen Eltern ein, in mein altes Zimmer - wenn ich nun nach Hause fahre, muss ich auf der Couch übernachten. Sie vergisst, ob sie schon gegessen hat. Sie vergisst, was sie einkaufen wollte. Sie vergisst, wer zur Familie gehört, wer ihre Freunde
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