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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Autoren: Dianne Dixon
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und sich wunderte, wie ruhig und sachlich sie klang: »Ich war im Ausland«, sagte er. »Bis letzte Woche habe ich in London gelebt. Ich habe meine Familie sehr lange nicht gesehen.«
    »Wie schrecklich, nach Hause zu kommen und mit solch einer Nachricht konfrontiert zu werden.« Die Frau nahm etwas von einem Regal neben ihrem Schreibtisch. Sie betrachtete Justin mit ehrlicher Sympathie und sagte: »Wir haben ein paar Dinge aufgehoben, die Ihrem Vater gehörten. Ich wollte sie schon mit der Post schicken.«
    Sie reichte Justin ein kleines Paket. Auf der Vorderseite klebte ein sorgfältig ausgefülltes Adressetikett.

    Die Türen des Pflegeheims schlossen sich hinter ihm, und Justin war wieder auf dem Parkplatz. Zwei Angestellte des Krankenhauses, ein Mann und ein hübsches Mädchen, waren damit beschäftigt, eine fahrbare Krankentrage - mitsamt ihrem in einem Leichensack mit Reißverschluss steckenden Patienten - in aller Gemütsruhe in einem Leichenwagen zu verstauen. Lachend unterhielten sie sich dabei. Mit einer schnellen Bewegung schälte das Mädchen einen ihrer Latexhandschuhe von der Hand und warf ihn kunstvoll in Richtung eines in der Nähe stehenden Abfalleimers, und in einem eleganten Bogen segelte er hinein. Sie vollführte einen kleinen Siegestanz und erklärte: »Du schuldest mir eine Einladung zu Starbucks.« Sie lachte, und ihr Begleiter klatschte sie ab.Weniger als eine Stunde war vergangen, seit Justin auf diesem Parkplatz angekommen war. Ein Zeitraum, in dem
man einen Vater verlieren oder eine Tasse Kaffee gewinnen konnte; in dem eine innere Welt zusammenbrechen konnte, während die Außenwelt davon völlig unberührt blieb.
    Statt zu seinem Wagen zu gehen, setzte Justin sich auf eine Bank und wartete, bis der Leichenwagen abgefahren war. Auch lange danach blieb er einfach sitzen. Mit dem kleinen, sorgfältig beschrifteten Paket auf dem Schoß. Mehrere PKWs kamen an und fuhren wieder davon. Dann ein Lieferwagen. Und ein fetter Mann auf einer Harley. Zwei alte Damen in einem uralten, ruckelnden Cadillac. Ein schlaksiger Junge auf einem Skateboard und eine Gruppe Eiswaffeln essender Mädchen schlenderten auf dem Bürgersteig vorbei. Ein Eichhörnchen balancierte auf einer Stromleitung hin und her und stieß dabei wild keckernde Laute aus. Und Justin blieb einfach sitzen.
    Er wiederholte es wieder und wieder in Gedanken: die Tatsache, dass sein Vater tot war. Er wusste, dass er von Erinnerungen überschwemmt und von Trauer erfüllt sein sollte. Doch es wollte sich keine Flut von Erinnerungen einstellen und keine Traurigkeit. Nur eine Art Erschrecken - eine Gewissheit, die ihn frösteln ließ, eine Gewissheit, dass die splitternde Tür zu einer lange verschlossenen Kammer leise, aber unaufhaltsam geöffnet wurde.

    Die Adresse auf dem Paket, das man ihm im Krankenhaus gegeben hatte, lag ungefähr 15 Kilometer südlich von Sierra Madre und der Lima Street entfernt. Eigentlich hätte er den Weg mühelos finden sollen, doch er fuhr durch eine ihm völlig unvertraute Gegend. In diesem Labyrinth aus kurvigen Straßen, saftigem Gras und prächtigen Häusern fühlte er sich verloren. Schließlich passierte er ein Ortsschild. Einen
einfachen Steinsockel, gekrönt von einer Betonurne, die von Blumen und Blättern überquoll. Am Fuß des Sockels standen in hübschen bronzenen Buchstaben die Worte »San Marino«.
    Wie dieses Ortsschild präsentierte sich auch die Stadt selbst in einer Mischung aus Zurückhaltung und Ungezwungenheit. Eine südkalifornische Stadt, deren Straßen nach englischen Märtyrern benannt waren und deren Häuser in einer Fülle von toskanischen Fliesen schwelgten.
    Das Haus, nach dem Justin suchte, stand oberhalb eines terrassenförmig angelegten Rasens. Eine blonde Frau in einem blauen Arbeitshemd und einer mit Lehmflecken übersäten Jeans grub neben der Auffahrt energisch ein Blumenbeet um.
    Bei ihrem Anblick füllten sich Justins Augen mit Tränen. Irgendwo in dieser Fremden erkannte er das kleine Mädchen wieder, das einmal seine Schwester gewesen war. Er drehte das Seitenfenster herunter und konnte nur sagen: »Waren Sie früher einmal Lissa Fisher?«
    Die Frau stützte sich auf ihren Spaten und sah zu, wie Justin aus dem Wagen stieg. »Kenne ich Sie?« Sie zeigte ein warmes Lächeln, zupfte eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und hinterließ dabei eine Spur Erde auf ihrer Wange. Ein bedrohliches Schwindelgefühl überkam Justin - wie bei einem beängstigenden freien Fall. Er wollte
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