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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition)
Autoren: Yuna Stern
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darin, Alkohol zu – wieder zitiere ich – saufen und unverhüteten Geschlechtsverkehr zu treiben.«
    Wie erschlagen hockte ich weiterhin auf meiner Liege und starrte Fräulein Ingrid W. an, während sie mehrfach nach Luft schnappte. Sie fuhr fort: »Am vierzehnten Dezember Zweitausendsieben – einem Freitag kurz vor Ihren Weihnachtsferien – feierten Sie mit Ihren Freundinnen Nina und Rebecca und mit Ihrem festen Freund Bastian bis spät in die Nacht – genauer vier Uhr vierunddreißig. Sie verabschiedeten sich von Ihren Freundinnen und setzten sich in den königsblauen Volkswagen Polo Ihres angetrunkenen Freundes, der mit eins Komma neun Promille losfuhr. In der Bahnhofstraße Berlin-Köpenick, Postleitzahl eins-zwei-fünf-fünf-fünf, ereignete sich der Unfall. Ihr Freund raste in einen Lastwagen der Marke Iveco Deutschland. Sie erlitten eine Kopfverletzung. Die Reanimationsversuche der Rettungssanitäter scheiterten. Sie verbluteten noch im Wagen.« Fräulein Ingrid W. stockte und nickte zufrieden. Anschließend schenkte sie mir das wärmste Lächeln, das ich mir bei ihr vorstellen konnte.
    »Und jetzt sind Sie hier, Nummer Siebenhundertneunundneunzig! Willkommen in der Anstalt für Überführer, gegründet von unserem Anüberführer Nummer Nullnulleins, kurz genannt Boss. In den nächsten zehn Wochen werden Sie ausgebildet, um den Weg für unsere Kunden zu ebnen und sie ins Licht zu geleiten. Vorher stehen noch einige Untersuchungen an, in denen wir zum Beispiel Ihre Herzfrequenz –«, sie kicherte leise, »oder auch genannt Ihr Leergut – überprüfen müssen. Bitte folgen Sie mir nun ins erste Untersuchungszimmer, in dem Sie Doktor – kurz – Aurelian P. empfangen wird.«
    Als ich mich nicht von der Stelle rührte, nicht einmal mehr atmete, schnippte sie ungeduldig mit den Fingern. »Na, kommen Sie schon, hm, Fräulein Hanna M. Wir haben nicht ewig Zeit.« Über ihren eigenen Witz begann sie schallend zu lachen. »Der war gut, nicht wahr? Nicht ewig Zeit.« Dann zog sie ihre fein gezupften Augenbrauen zusammen, gespielt streng. »Aber nein, wirklich. Wir müssen einem festen Zeitplan folgen. Und Sie überziehen gerade Ihre Begrüßungsphase Null A ins Unermessliche. In fünf ...«, sie warf einen Blick auf eine silberne Armbanduhr, die mir erst jetzt auffiel, und wieder riss sie ihre Augen panisch auf, »... nein, ach-oh-Boss, drei Zeigern erwartet uns der nächste Neuankömmling. Das ist nun wirklich peinlich, Nummer Siebenhundertneunundneunzig. Wir müssen uns beeilen. Und hopp! Hopp, hopp!«
    Sie griff nach meiner Hand und zog mich auf die Beine. Als meine nackten Füße den Fliesenboden berührten, jagte mir die Eiseskälte einen weiteren Schauer über den Rücken. Ich schwankte.
    »Nur ruhig«, beschwichtigte mich Fräulein Ingrid W., als sie meine schlechte Verfassung bemerkte. »Wir haben ewig Zeit, nicht wahr?«
    Als ich ihr ins Gesicht blickte, sah ich, dass sie mich wieder angrinste. Ihre perlweißen Zähne blitzten wie in einer Zahnpastawerbung.
    Ich kannte keine Hanna M. Ich erinnerte mich nicht an sie. Und auch nicht an ihre Geschichte. Trotzdem wollte ich nicht, dass sie tot war. Weil ich ahnte, dass wir vielleicht ein und dieselbe Person waren? Mag sein. Wahrscheinlich. Weil ich nicht wollte, dass ich tot war.
    Aufwachen!!!!!!!!!!!!!!!!!

KAPITEL 2

Der Untersuchungsraum enthielt zahlreiche Apparate. Sie standen überall im Zimmer verteilt. Auf dem Pult, unter der Liege, neben der Tür. Sobald ich eintrat, blinkten ihre Signallichter rot auf und gaben einen schrillen Ton von sich. Nachdem sie sich offenbar aufeinander abgestimmt hatten, fuhren sie auf ihren Rädern los und reihten sich sorgsam in eine Schlange, um von meinem Körper – vermutete ich – Bilder zu schießen.
    Fräulein Ingrid W. hüstelte und lächelte mich mit hocherhobenem Kinn an. »Sehr beeindruckend, hm, nicht wahr? Das sind die Erfindungen unseres Doktors. Er wird Sie gleich empfangen.«
    Ich stellte mich mit dem Rücken gegen eine Wand und musterte die Maschinen ängstlich. Sie besaßen sogar Metallarme, mit denen sie gerade meine Beine bestrahlten. Was taten sie da? Röntgten sie mich?
    »Ich sehe, ich kann Sie nun alleine lassen«, stellte meine Einweiserin fest. »In wenigen Minizeigern wird Sie Doktor Aurelian P. empfangen. Er steckt noch in einer wichtigen Behandlung.« Sie schenkte mir ein letztes Mal ihr Zahnpastalächeln. »Willkommen auf der anderen Seite, Nummer Siebenhundertneunundneunzig oder auch
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