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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee
Autoren: Juergen Banscherus
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zurück.
    Es war noch nicht einmal drei, trotzdem war die Sparkasse hell erleuchtet. Auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude räumte ein Mann im blauen Kittel den Schnee weg. Jurij und ich wollten absteigen. Doch Tom schüttelte den Kopf. Langsam fuhren wir durch die Rathauspassage, über den Marktplatz, die Nikolausbrücke, vorbei an unserer Schule.
     
    Warum wir nicht gleich in die Bank gegangen sind? Schließlich sieht es ganz so aus, als hätten wir abgewartet, bis die Luft rein war. Natürlich haben wir das getan, was denken Sie? Vergessen Sie bitte nicht, dass wir ein Spiel spielten, das Bankraub hieß. Geht ein echter Bankräuber etwa in eine Bank, wenn draußen jemand Schnee räumt? Nein? Na also.
     
    Nach unserer zweiten Runde durch den Ort war der Mann im blauen Kittel verschwunden. Wir blieben auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen, unschlüssig, was wir als Nächstes tun sollten.
    »Gehen wir alle zusammen rein?«, fragte ich.
    »Zu auffällig«, sagte Tom.
    »Dann gehe ich«, sagte Jurij.
    Tom schüttelte den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Deine Sprache.«
    »Was ist mit meiner Sprache?«
    »Du kommst aus Russland«, antwortete Tom. »Das hört man. Immer noch.«
    »Ich komme aus Kasachstan«, widersprach Jurij.
    »Egal«, sagte Tom.
    »Was ist mit mir?«, fragte ich.
    »Du bist nicht cool genug«, sagte Jurij.
    »Na, hör mal!«
    »Jurij hat Recht«, sagte Tom. »Wenn dich einer von denen anspricht, machst du dir vor Schreck in die Hosen.«
    »Gar nicht wahr!«, wehrte ich mich.
    »Ich gehe«, sagte Tom.
    Hätte ich doch damals vor dem Bankgebäude bloß nicht so schnell nachgegeben. Ich hätte nicht gestottert, unter Garantie nicht. Mir wäre schon was eingefallen, wenn sie mich da drinnen gefragt hätten, was ich will. Wahrscheinlich hätte ich mir erklären lassen, wie ich bei ihnen als Schülerin ein Konto einrichten kann. Oder was anderes. Aber ich ließ Tom gehen. Leider. Mir war kalt, trotz der Handschuhe spürte ich meine Finger kaum noch. Ich wollte die Sache hinter mich bringen. Und dann ab nach Hause.
    Wir schoben unsere Räder über die Straße und lehnten sie neben dem Eingang an die Hauswand. Tom ging in die Bank, Jurij und ich stellten uns unters Vordach und beobachteten so unauffällig wie möglich, was in der Sparkasse geschah.
     
    Ich mach’s Ihnen nicht leicht, hab ich Recht? Da kaufen drei Jugendliche Wasserpistolen und Skimützen, um Bankraub zu spielen. Sparen nicht fürs nächste Handy oder den neuesten CD-Brenner. Laufen nicht in Discos oder zu Flirtpartys von irgendwelchen Tanzschulen. Wer soll der Lina das abnehmen, denken Sie. Kann ich verstehen. Aber was ist eigentlich mit Ihnen? Haben Sie nie verrückte Sachen angestellt? Sind Sie nie mit geschlossenen Augen über eine Kreuzung gegangen? Haben Sie nie irgendwelche Leute mit Telefonanrufen geärgert? Haben Sie sich nie mit Ihren Freunden an Bushaltestellen gestellt und sind nicht eingestiegen, wenn der Bus gehalten hat? Und haben sich über das wütende Gesicht des Fahrers gefreut? Nein? Wir jedenfalls haben solche Sachen gemacht – und verdammt viel Spaß dabei gehabt.
     
    In der Bank saßen drei Angestellte an ihren Tischen, zwei Frauen und ein Mann. Ein zweiter Mann legte, soweit ich das von draußen erkennen konnte, in der Kassenbox Bündel von Geldscheinen in einen Zählautomaten oder wie die Dinger heißen. Kunden schienen nicht im Raum zu sein, jedenfalls sah ich niemanden.
    Als Tom hereinkam, schauten die beiden Frauen hoch, eine von ihnen fragte ihn etwas. Während er antwortete – ich sah deutlich, wie er die Lippen bewegte –, verzog er plötzlich das Gesicht, wie man es tut, wenn man niesen muss.
    Das tat er dann auch – und zwar so heftig, dass man es bis vor die Tür hören konnte. Ein zweites Mal nieste er. Und bei dieser heftigen Bewegung rutschte ihm die Skimütze übers Gesicht. Ob es wirklich von ganz allein geschah oder ob er ein bisschen nachhalf, kann ich nicht sagen. Jedenfalls erschien es von draußen wie Zauberei – im Bruchteil einer Sekunde verwandelte Tom sich in einen echten Bankräuber.
    Unwillkürlich packte ich Jurij am Arm. Der schien das nicht zu bemerken. Angestrengt starrte er durch die Scheibe, nur sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder.
    Jetzt sah auch der Mann in der Kassenbox von seiner Arbeit hoch. Er trug seine schwarzen Haare kurz geschnitten, hatte eine Goldrandbrille, schmale Lippen und war höchstens eins fünfundsechzig groß. Im Vergleich zu Tom wirkte er wie ein
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