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Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten

Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten

Titel: Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten
Autoren: Alessandro Baricco
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leibhaftig auf der Bühne.) 
     
    Ladies and Gentlemen, meine Damen und Herren, Signore e Signori … Mesdames et Messieurs, willkommen an Bord dieses Schiffes, dieser schwimmenden Stadt, die aufs Haar der Titanic gleicht, immer mit der Ruhe, bleiben Sie doch sitzen, der Herr dort hat gleich auf Holz geklopft, ich hab’s genau gesehen, willkommen auf dem Ozean, was machen Sie eigentlich hier?, jede Wette, daß Ihnen die Gläubiger im Nacken saßen, Sie sind an die dreißig Jahre zu spät auf der Jagd nach dem Gold, Sie wollten sich mal das Schiff ansehen und haben dann nicht gemerkt, wie es losfuhr, Sie sind mal eben Zigaretten holen gegangen, und in diesem Augenblick sitzt Ihre Frau bei der Polizei und sagt, er war ein guter Mann, vollkommen normal, in dreißig Jahren nicht ein Streit … Also, was zum Teufel suchen Sie hier, dreihundert Meilen von jedem verdammten Stück Land entfernt und zwei Minuten vom nächsten Brechreiz?, Pardon, Madame, das war nur ein Scherz, keine Sorge, dieses Schiff läuft wie eine Kugel auf dem Billardtisch des Ozeans, klack, noch sechs Tage, zwei Stunden und siebenundvierzig Minuten und plopp, getroffen, New Yoooooork! 
     
    (Band im Vordergrund) 
     
    Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, Ihnen zu erklären, daß dieses Schiff in vielerlei Hinsicht außerordentlich und letztendlich einzigartig ist. Unter dem Kommando von Kapitän Smith, einem bekannten Klaustrophobiker und sehr vernünftigen Mann (gewiß haben Sie bemerkt, daß er in einem Rettungsboot wohnt), arbeitet eine praktisch einmalige Crew absolut ungewöhnlicher Profis für Sie: Paul Siezinskj, der Steuermann, polnischer Ex-Priester mit übersinnlichen Kräften, Handaufleger, leider blind … Bill Joung, der Funker, ein toller Schachspieler, Linkshänder, Stotterer … der Schiffsarzt Dr. Klausermannspitzwegensdorfentag, wenn Sie ihn im Notfall schnell rufen müssen, haben Sie leider Pech gehabt …, doch allen voran:
    Monsieur Pardin, der Chefkoch, direkt aus Paris, wohin er übrigens schnurstracks zurückkehrte, nachdem er sich persönlich von dem kuriosen Umstand überzeugt hatte, daß dieses Schiff keine einzige Küche besitzt, wie neben anderen auch Monsieur Camembert, Kabine 12, messerscharf kombinierte, der sich heute beschwerte, weil das Waschbecken voller Mayonnaise war, was schon seltsam ist, denn normalerweise bewahren wir in den Waschbecken den Aufschnitt auf, eben wegen des Mangels an Küchen, dem auf diesem Schiff unter anderem auch das Fehlen eines richtigen Kochs zu verdanken ist, wie zweifellos Monsieur Pardin einer war, der schnurstracks nach Paris zurückkehrte, von wo aus er auf direktem Wege und in der irrigen Annahme gekommen war, hier Küchen vorzufinden, die es allerdings, um bei der Wahrheit zu bleiben, hier nicht gibt, und das verdanken wir wiederum der albernen Vergeßlichkeit des Konstrukteurs dieses Schiffes, dem hervorragenden Ingenieur Camilleri, weltbekannt für seine Appetitlosigkeit, bitte schenken Sie ihm Ihren herzlichsten Applaauus … 
     
    (Band im Vordergrund)
     
    Glauben Sie mir, noch so ein Schiff werden Sie nicht finden. Vielleicht finden Sie nach jahrelanger Suche noch einen klaustrophobischen Kapitän, einen blinden Steuermann, einen stotternden Funker, einen Arzt mit unaussprechlichem Namen, alle auf ein und demselben Schiff ohne eine Küche. Kann sein. Aber was Ihnen kein zweites Mal passieren wird, darauf können Sie Gift nehmen, ist, daß Sie mit dem Arsch auf zehn Zentimetern Polsterstuhl und Hunderten von Metern Wasser sitzen, mitten auf dem Ozean, und vor Augen den Zauber haben, in den Ohren das Wunder, in den Füßen den Rhythmus und im Herzen den Sound der einzigen, unnachahmlichen, kolossalen ATLANTIC JAZZ BAAAAND!!!!! 
     
    (Band im Vordergrund. Der Schauspieler stellt nacheinander die Musiker vor. Auf jeden Namen folgt ein kurzes Solo.) 
     
    An der Klarinette: Sam »Sleepy« Washington!
    Am Banjo: Oscar Delaguerra!
    Trompete: Tim Tooney!
    Posaune: Jim Jim »Breath« Gallup!
    An der Gitarre: Samuel Hockins!
    Und schließlich am Klavier … Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento.
    Der Größte. 
     
    (Die Musik bricht schlagartig ab. Der Schauspieler spricht nun nicht mehr wie ein Ansager und zieht sich beim Reden die Musikeruniform aus.)
     
    Das war er wirklich, der Größte. Wir spielten Musik, aber er war was anderes. Er spielte … Das gab’s noch nicht, bevor er es spielte, okay?, das gab’s nirgendwo. Und wenn er vom Klavier aufstand, war es wieder weg
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