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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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bezaubernd schön«.
    Die Vögel wurden stumm, und auch der Wind konnte Lillys Gesang nicht widerstehen und reiste mit einzelnen, hohen Tönen mit. Sie flogen schneller als sonst zu den Bergen hin. Ehe das letzte Echo bei Regina ankam, erkannte sie, daß sie sich geirrt hatte. Sie war nicht der glücklich heimgekehrte Odysseus. Sie hatte in Gilgil nur die Sirenen gehört.
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    Hessisches Staatsministerium Der Minister der Justiz Wiesbaden Bahnhofstr. 18

    Herrn
    Dr. Walter Redlich Hove Court POB 1312 Nairobi Kenia
    Wiesbaden, den 23. Oktober 1946
    Betr. Ihr Gesuch auf Verwendung im Justizdienst des Landes Hessen vom 9. Mai 1946
    Sehr geehrter Herr Dr. Redlich!
    Es ist uns eine große Freude, Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Gesuch vom 9. 5. d. J. auf Verwendung im hessischen Justizdienst mit Beschluß vom 14. d. M. zustimmend beantwortet worden ist. Sie werden zunächst als Richter am Amtsgericht der Stadt Frankfurt Verwendung finden und wollen sich bitte dort nach Ihrer Rückkehr sobald als möglich bei Herrn Amtsgerichtspräsident Dr. Karl Maaß melden, der bereits von uns diesbezüglich unterrichtet worden ist. Bitte setzen Sie ihn in Kenntnis, wann ein Termin für Ihre Übersiedlung nach Frankfurt feststeht. Bei der Bemessung Ihrer Bezüge haben die Jahre ab Ihrer 1937 erfolgten Löschung als Rechtsanwalt in Leobschütz (Oberschlesien) als Dienstjahre Berücksichtigung gefunden. Der Unterzeichnete ist beauftragt worden, Ihnen mitzuteilen, daß Sie im Hessischen Justizministerium persönlich bekannt sind. Ihr Wunsch, am Wiederaufbau einer freien Justiz mitzuwirken, wurde hier als ein besonderes Hoffnungszeichen für die junge Demokratie in unserem Land empfunden.
    Indem wir Ihnen und Ihrer Familie schon heute unsere besten Wünsche für die Zukunft aussprechen, verbleiben wir
    mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung!
    gez. Dr. Erwin Pollitzer im Auftrag des Ministers der Justiz im Hessischen  Staatsministerium
    Owuor hatte die Bedeutung der Stunde mit Augen, Nase, Ohr und dem Kopf eines Mannes eingefangen, den Erfahrung klug gemacht und Instinkt geschmeidig wie einen jungen Krieger gehalten haben. Er war der Jäger, der die ganze Nacht wacht und nur durch die ständige Schärfung seiner Sinne die lang erwartete Beute macht. An diesem Tag, der begonnen hatte wie alle anderen Tage auch, hatte er den Brief überbracht, der wichtiger war als jeder Brief zuvor.
    Schon die zitternden Hände vom Bwana und die Plötzlichkeit, mit der seine Haut die Farbe wechselte, als er das dicke, gelbe Kuvert aufriß, hätten Owuor gereicht. Noch verräterischer waren der saure Geruch von Furcht, der zwei Körpern entströmte, und die Ungeduld, die vier Augen wie ein zu rasch entflammtes Feuer flackern ließ. In demselben Raum, in dem Owuor noch ohne Erregung und Hast die Blasen im heißen Kaffee gezählt hatte, ehe er ins Büro vom Hove Court gegangen war, um die Post abzuholen, ließ nun die Stille jeden Atemzug so laut werden, als hätten der Bwana und die Mem-sahib sich Trommeln in die Brust einnähen lassen.
    Während er das Klopfen in seinem eigenen Körper beruhigte, indem er immer wieder Gegenstände berührte, die er auch mit geschlossenen Augen erkannt hätte, beobachtete Owuor den Bwana und die Memsahib beim Lesen. Wenn er nur die Augen aufmachte und nicht auch die übervolle Kiste mit den Erfahrungen aus Tagen, die schon lange nicht mehr waren, sahen die Menschen mit der blassen Haut der großen Angst nicht anders aus als in den anderen Stunden, da die weitgereisten Briefe so scharf gebrannt hatten wie zuviel Fett in einem zu kleinen Topf. Und doch waren für Owuor sein Bwana und die Memsahib fremd geworden.
    Zunächst saßen die beiden nur auf dem Sofa und rissen wie verdurstende Kranke immer wieder die Lippen auseinander, ohne daß sich ihre Zähne zeigten. Dann wurde aus zwei Köpfen ein einziger und schließlich aus den beiden Körpern ein erstarrter Berg, der alles Leben schluckte. Es war wie bei den Dik-Diks, die in der Glut der hochstehenden Sonne Schutz aneinander suchen, aber auch dann nicht voneinander lassen wollen, wenn der Schatten zu klein für beide ist. Das Bild von den nicht trennbaren Dik-Diks machte Owuor unruhig. Es verbrannte die Augen und ließ auch den Mund verdorren.
    Ihm fiel die kluge Geschichte ein, die Regina vor vielen Regenzeiten in Rongai erzählt hatte. Es war lange vor dem schönen Tag mit den Heuschrecken gewesen. Ein Junge war in ein Reh verwandelt worden, und seine Schwester war machtlos
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