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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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einmal sein ganzes Denken ein. Immer wieder sah er sich in der düsteren Tiefe, während die Leichen mit schnappenden Klauen um ihn in der Dunkelheit schwebten.
    Auch die Melodie stellte sich wieder ein, ein schrilles Auf und Ab von Tönen, das sich immer tiefer in seine Erinnerung brannte.
    Als die Krieger bemerkten, daß der Zwerg nicht von selbst die Kraft aufbrachte, vor und zurück zu schaukeln, brachten sie selbst die Seile zum Schwingen. Die plötzliche Bewegung riß Alberich aus dem panischen Taumel seiner Schreckensbilder. Der Beckenrand kam näher, er versuchte, ihn zu fassen, doch seine freie Hand griff ins Nichts. Schon schwang er wieder zurück, fort von der Felswand, in die absolute Leere über dem Fluß. Wieder vor, wieder zurück.
    So ging es mehrmals, und dabei gelang es ihm zum ersten Mal, die Konstruktion des Beckens genauer zu betrachten. Es war ein viereckiges Gebilde aus Balken, von einem Spinnenetz aus Brettern und Stämmen waagerecht in der Steilwand gehalten. Eine Brüstung, die Alberich fast bis zur Schulter reichte, umgab das eigentliche Becken, das mit einer schwarzen Schicht, augenscheinlich Pech, abgedichtet war. Wenn er sich nicht täuschte, maß es mindestens sechs mal vier Menschenschritte.
    Er fragte sich, wie viele Sklaven beim Bau dieser Konstruktion ihr Leben gelassen hatten. Er stellte sich vor, wie sie an Stricken vor den Felsen gebaumelt hatten wie ein Heer von emsigen Spinnen, bewaffnet mit Hämmern und Nägeln und Balken.
    Wieder raste er mit Schwung auf das Becken zu, und diesmal gelang es ihm, sich mit beiden Armen daran festzuklammern. Der Eimer schepperte aus seiner Hand lautstark in die Mitte des Beckens. Von oben erklangen aufmunternde Rufe, der schlimmste Hohn von allem.
    Ächzend kämpfte Alberich sich auf den oberen Rand der Brüstung und blieb dort sitzen. Vor ihm lag das rote Rechteck des Beckenbodens, doppelt handbreit mit dem Blut des Drachen bedeckt. Er blickte an der Steilwand nach oben und entdeckte den Stollen, der zwei Schritte über dem Becken in den Fels führte. Der Blutstrom war längst versiegt. Unterhalb der Öffnung war ein Rinnsal am Stein zu brauner Schlacke geronnen.
    Was war mit den Männern geschehen, die sich im Stollen befunden hatten, als der Durchbruch zum Grund des Blutsees gelang? Hatte das hervorschießende Blut sie in den Rhein gespült? Oder war es ihnen ebenso ergangen wie dem Krieger? Letzteres, vermutete Alberich – und wurde sich im selben Augenblick erneut seiner Lage bewußt. Die Anstrengung, das Becken zu erreichen, hatte ihn eine Weile lang so sehr beschäftigt, daß alles andere nebensächlich geworden war. Jetzt aber, da er auf dem Balkenrand kauerte und auf die Oberfläche des Drachenblutes hinabstarrte, traten ihm wieder die Bilder des zerfressenen Mannes vor Augen.
    Oben wurden abermals Rufe laut. Die Krieger forderten ihn auf, endlich hinab ins Blut zu steigen und einen Eimer voll herauszuschöpfen.
    Der Eimer! Da lag er, inmitten des Beckens. Unversehrt!
    Wie war das möglich? Das Blut hatte auch die Kleidung des Kriegers zersetzt. Nichts war übriggeblieben. Warum also blieb der Eimer heil? Und, überhaupt, weshalb konnte das Becken selbst der zerstörerischen Macht des Blutes widerstehen?
    Alberich glaubte nicht, daß es am Holz lag. Der Krieger hatte Fell und Leder und Eisen getragen, und sicher auch den einen oder anderen Holzknopf. Wären sie unbeschädigt geblieben, hätten sie an der Oberfläche schwimmen müssen. Aber da war nichts, gar nichts!
    Ein heftiger Ruck an den Seilen ließ ihn beinahe wieder nach hinten stürzen. Gerade noch gelang es ihm, sich am Balken festzuklammern und seinen Fall zu verhindern. Die Krieger an der Winde wurden ungeduldig. Mehr als das: Sie schrien und fluchten vor Zorn, drohten ihm mit Höllenqualen und Schlimmerem. (Das war es tatsächlich, was sie riefen – »Schlimmeres« –, was auch immer sie darunter verstehen mochten; Alberich war allerdings nicht begierig darauf, es am eigenen Leibe zu erfahren.)
    Instinktiv zerrte er an den Knoten und Schlaufen, die ihn hielten. Doch jeder Versuch, sie zu lösen, war vergebens. Die Männer hatten ganze Arbeit geleistet, als sie ihn derart verschnürten. Auch besaß er kein Messer, mit dem er das Seil hätte kappen können. Die Erkenntnis, daß er ihnen auf Gedeih und Verderben ausgeliefert war, warf ihn in tiefe Verzweiflung. Er mußte tun, was sie verlangten. Mit den Füßen ins Blut steigen.
    Er versuchte, ein Stück Stoff aus seinem
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