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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition)
Autoren: Heinz Buschkowsky
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nicht korrekt ist. Entscheidend ist für uns die Lebenswirklichkeit und nicht die historische Abstammung.) Aus der EU stammen 31   500 Bürgerinnen und Bürger, 14   000 davon mit Polen als Herkunftsland. Aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen 13   000 Einwohner und aus der früheren Sowjetunion 5300. Aus islamischen Ländern stammen 56   600 Einwohner mit den Hauptherkunftsländern Türkei (37   000), arabische Länder (15   000) und speziell Libanon (6600). Aus den USA kommen 1300 Bewohner, aus Vietnam 1000, und bei 11   700 lassen sich die Herkunftsländer nicht eindeutig zuordnen.
    Innerhalb der Muslime, die mit 45   % fast die Hälfte aller Einwanderer stellen, belegen die Türkischstämmigen zahlenmäßig eindeutig den ersten Rang. Immerhin beträgt auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Neukölln beachtliche 12   %. Der Anteil aller Muslime kann mit 18   % ebenfalls nicht als minimal eingestuft werden.
    Der Kanal teilt die Stadt nicht nur geographisch und bevölkerungsmäßig, sondern er markiert auch eine soziale Trennungslinie. Der Süden ist mit Einfamilienhausgebieten, höherem Durchschnittseinkommen und höherem Bildungsstand bürgerlicher geprägt als der Norden. Dies gilt selbstverständlich auch für die dort lebenden Einwanderer. Ein erheblicher Teil von ihnen, der es im Laufe der Zeit zu mehr oder weniger Wohlstand gebracht hat, hat inzwischen den Norden verlassen und sich im Süden angesiedelt. Nicht immer zur Freude der dort ansässigen ethno-deutschen Bevölkerung. Im Süden ist also nicht nur der Einwandereranteil erheblich niedriger als im Norden, sondern auch die sozioökonomische Situation der Bewohner deutlich besser. Das sind die beiden wesentlichen Gründe dafür, dass der südliche Teil Neuköllns eigentlich nie als sozialer Brennpunkt oder Problemgebiet der Integration empfunden und bezeichnet wird. Er ist es auch nicht.
    Mit der Abwanderung bestimmter Teile der Bevölkerung des Nordens vollzog sich in den letzten 20 Jahren eine ethnische und eine soziale Segregation. Die deutschen Bewohner flohen vor dem immer stärkeren Anteil der Einwanderer, und unter den Einwanderern vollzog sich die Flucht aus dem »Ausländerghetto«. Die Menschen stimmten mit dem Möbelwagen ab. Aber mit jedem Lastwagen verließen nicht nur Möbel das Quartier, sondern auch und vor allem soziale und wirtschaftliche Kompetenz. Gerade unter den Einwanderern war dieser Aderlass schmerzlich. Es gingen die Besten. Die mit Vorbildfunktion. Die, die als soziale Kontrolle insbesondere in ihrer eigenen Ethnie wirkten. Die, die als Eltern- und Mietervertreter Verantwortung übernommen hatten oder hätten übernehmen können. Sie waren es, die die Schulen im Süden abtelefonierten, um sich zu erkundigen, wie hoch der Ausländeranteil dort sei, und um danach zu entscheiden, wo die eigenen Kinder angemeldet wurden.
    Die freien Räume im Norden wurden natürlich sofort wieder gefüllt. Entweder durch zuziehende deutsche Multiproblemfamilien, seit Generationen Arbeitsplatzsicherer im Sozial- und im Jugendamt, oder die frische Einwandererfamilie. Frisch, weil gerade eingereiste Asylbewerber oder die junge Familie mit dem eingeflogenen Importbräutigam oder der Importbraut. Nicht nur, dass wir mit der neuen jungen Migrantenfamilie wieder bei Punkt Null der Integration anfangen mussten und müssen, nein, auch der integrationsfähige und integrierende Bevölkerungsanteil wurde immer schwächer. Einer schwindenden bildungsorientierten Bevölkerungsschicht standen immer stärker werdende gesellschaftlich marginalisierte Gruppen gegenüber, denen dazu auch noch die schwersten der gesellschaftlichen Aufgaben aufgebürdet wurden: die Integration neuer kultureller Einflüsse und die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebenswelten. Das konnte nicht gutgehen. Und so veränderte sich fast unmerklich, aber im Alltag dann doch deutlich sichtbar auch der öffentliche Raum in Nord-Neukölln.
    Wenn ich heute Menschen frage, von welchem Zeitpunkt an sie diese Entwicklung bewusst wahrgenommen und für sich als negativ und belastend empfunden haben, wird mir übereinstimmend der Zeitraum Anfang bis Mitte der 1990er Jahre genannt. Für die Mehrheitsbevölkerung unübliche Verhaltensweisen wurden evident. Und wenn es nur die war, dass migrantische Familien in unseren Fußballplätzen einen idealen Ort zum Picknicken erkannten und nur sehr unwirsch dem Trainings- und Spielbetrieb ab 16.00 Uhr wichen.
    Durch den Zuzug steigerte sich
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