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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
Autoren: Else Ury
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Abwesenheit. Der trieb sich allenthalben herum, wo Truppen ins Feld zogen, wo neue Kriegsdepeschen erschienen, und wo es einen Menschenauflauf gab. Großmama hätte den Schlingel am liebsten wie Puck an die Leine genommen.
    Da blieb außer der Großmama nur noch Hanne, die Köchin, zur Gesellschaft für Nesthäkchen, das im Kinderheim stets mit munteren Altersgenossen zusammen gewesen, übrig. Die alte Köchin aber war ganz kopflos durch den Krieg geworden. Die redete von nichts anderem als von den Russen und von Hungersnot.
    Wenn bloß erst Margot Thielen, ihre beste Schulfreundin, wieder daheim wäre! Dieselbe wohnte in demselben Hause wie Doktors Nesthäkchen. Von der zehnten Klasse an hatten sie getreulich zusammengehalten. Aber die Fenstervorhänge waren drüben noch immer geschlossen, soviel Annemarie auch hinüberäugte, sie wollten sich nicht heben. Wahrscheinlich waren Thielens durch die Militärzüge an der Heimreise von ihrem Ferienaufenthalt behindert worden. Aber zum Schulanfang würde sich Margot, die eine fleißige Schülerin war, doch sicher wieder einstellen. Annemarie sehnte deshalb den Beginn der Schule herbei, trotzdem sie Ferien sonst eigentlich mindestens so gern hatte. Auch auf die übrigen Schulfreundinnen, die sie ein ganzes Jahr lang nicht gesehen, freute sie sich. Großmama hatte im Namen des Vaters an den Direktor geschrieben und Annemarie für die sechste Klasse wieder angemeldet.
    Das Strickzeug in den kleinen Händen klebte, so fest preßte sie es zwischen die Finger. Zehn ganze Minuten hatte sie nun schon emsig hintereinander gestrickt, und doch wollte der Pulswärmer gar nicht wachsen. Annemarie warf einen verzweifelten Blick zu der Turmuhr, die sie von ihrem Balkon aus erkennen konnte. Noch fast eine halbe Stunde bis zum Kaffeetrinken. Gerechter Strohsack - konnten die Soldaten wirklich ein solches Opfer von ihr verlangen? Kam denn gar nichts, was sie von dem langweiligen Strickzeug erlöste?
    Großmama war in ihrem Korbsessel wohl durch die Hitze ein wenig eingenickt. Sie opferte jetzt sogar ihren Nachmittagsschlaf, um für die Krieger zu arbeiten und gleichzeitig Nesthäkchen zu beaufsichtigen. Na ja, alte Damen stricken eben gern, aber wenn man erst elf Jahre alt ist….
    Ob sie es einfach machen sollte wie Klaus, und sich heimlich davonschleichen?
    Ach nee, nee - dann ängstigte sich Großmama nachher, glaubte am Ende, sie sei vom Balkon gestürzt. Das wäre eine schlechte Vergeltung für all ihre treue Fürsorge -
    Da - horch - Militärmusik - gleichmäßiges Klappen vieler Füße auf dem Straßenpflaster. Hui - flog das Strickzeug in die Ecke und Nesthäkchen an die Balkonbrüstung.
    Aber auch Großmama war emporgeflogen, jäh aus ihrem Nickerchen aufgeschreckt. Jetzt stand sie hinter der Kleinen und hielt das sich weit über das Gitter lehnende Kind angstvoll am Schürzenbande fest.
    Mit »Gloria - Viktoria«, mit Schingderassa und Schnetteretteng marschierten wieder neue Regimenter blumengeschmückt dem unweit gelegenen Bahnhofe zu. - Ihnen zur Seite Frauen und Kinder, die den Söhnen, Männern und Vätern das Geleit gaben. Früh und spät erschallte jetzt der Gang ausrückender Truppen durch die sonst so stille Straße. Er bildete Nesthäkchens schönste Abwechslung.
    Auf einen Schlag waren alle Balkone belebt. Aus allen Fenstern lugten Köpfe, Hände und Tücher winkten den Ausziehenden ein Lebewohl zu.
    Auch Nesthäkchen wedelte mit ihrem rotgerandeten Tüchlein, was Zeug hielt - Großmama mußte sich entsetzlich aufregen. Wie leicht konnte das Kind dabei hinunterstürzen! Aber das kümmerte Annemarie nicht. Alle Langeweile war verflogen. Von den Pelargonien und Bethunien des Balkons riß sie sämtliche Blüten, welche die Augustsonne noch hervorgelockt, zu Großmamas Entsetzen ab, und streute sie auf die lachend heraufwinkenden Feldgrauen.
    »Kind - Kind - die schönen Blumentöpfe zerstörst du«, vorwurfsvoll gebot Großmama Einhalt.
    »Für unsere Krieger müssen wir Daheimbleibenden Opfer bringen,« meinte die Kleine eifrig mit denselben Worten, welche die alte Dame vor kurzem ihr selbst ans Herz gelegt hatte.
    Da mußte Großmama über das drollige Mädel lächeln. Doch das Lächeln erstarb ihr auf den Lippen - »mein Tuch - mein Taschentuch …«, bei einem Haar wäre Nesthäkchen ihrem davonflatternden Tüchlein hinterdrein auf die Straße gestürzt.
    »Ich bin gleich wieder oben«, ehe Großmama den Wildfang zurückhalten konnte, war er schon die Treppen
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