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Nero

Nero

Titel: Nero
Autoren: Ernst Eckstein
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möcht' ich dich tragen wie eine Schwester. Ich beneide den Artemidorus, wie der Tote den Lebenden! Wenn' s dir genehm ist, du liebes Geschöpf, so treten wir aus dem Getümmel hier abseits. Dort drüben am Ausgange beobachtet uns niemand, – und ich habe dir noch so vieles zu sagen!«
    Sie folgte ihm schweigend.
    »Wahrhaftig, der Gedanke läßt mich nicht los,« fuhr er mit herzentquellender Stimme fort. »Artemidorus! Wer mit ihm tauschen könnte!«
    »So glaube ich dennoch, du spottest meiner! Du, der allmächtige Princeps – und Artemidorus! Welch eine gähnende Kluft . . .!«
    »Freilich, – aber zu meinem Nachteil! Artemidorus hat das entzückende Recht, dir die Stirne zu küssen, dich in die Arme zu schließen . . . Wie froh und selig muß ihm zu Mute sein, wenn dein frühlingsblühender Mund auf dem seinen geruht hat!«
    »Ich küsse den Artemidorus nicht,« sagte das Mädchen bestimmt.
    »Wie? Deinen leiblichen Bruder?«
    »Das ist er nicht, mit Vergunst. Claudius Nero hat übersehen, daß Artemidorus dem fernen Damaskus entstammt, während Acte einen italischen Vater hat.«
    »Aber du hast doch um Gnade gebeten für deinen Bruder . . .«
    »Ja, Herr, – im Sinne der nazarenischen Lehre. Ihr zufolge sind alle diejenigen meine Brüder, die ein menschliches Antlitz tragen.«
    »So hast du mich nahezu überlistet.«
    »Wahrlich, nein! Frage doch einen der Unsern, ob ich dich täusche! Wir Nazarener nennen uns auch im Alltagsverkehr Brüder und Schwestern, – weil wir jegliche Schranke, die uns, nach Ansicht des Volkes, zu trennen scheint, als nicht vorhanden betrachten. Wir nennen uns so, ob nun der eine auch Sklave, der andre ein Ritter sei; denn Menschen sind wir durch unsre Geburt, Sklaven, Ritter und Senatoren aber durch Zufall, wenn nicht durch die Gewalt und die Ungerechtigkeit früherer Geschlechter . . .«
    Leuchtenden Auges schaute der Cäsar in das holde Gesicht.
    »Mädchen,« raunte er, ganz betäubt von ihrer zaubrischen Weiblichkeit, »du bist eine Frühlingsblume und redest doch weise wie ein Pythagoräer. Was du gesprochen, ist nicht mehr und nicht weniger, als der tiefinnerste Kern jener Philosophie, die mir Seneca in die Seele geträufelt. Du beschämst mich tief. Ich glaubte mit meiner Weltanschauung hoch über den besten meiner Zeitgenossen zu stehen, und nun finde ich hier eine kaum erblühende Jungfrau, die das gleiche empfindet, ja, die es klarer und trefflicher ausdrückt, als mein bewunderter Meister! Träume ich denn? – Hat sich denn Plato mit Sokrates und dem wuchtigen Zeno in eins verschmolzen, damit diese göttliche Dreizahl in Gestalt eines Mädchens aufs neue geboren würde?«
    Das Antlitz des Imperators schien bei diesen Worten hellster Begeisterung von einem Feuer durchglüht, das alle Züge verklärte, alle Bewegungen adelte. Die großen Pupillen saugten sich gleichsam fest an Actes tiefblauen Augen. Um die schwellenden, kaum vom ersten Flaume bedeckten Lippen bebte ein Zug unendlicher Sehnsucht, – so beredt, daß selbst ein Ungeübter ihn ablesen konnte. Es war das übersprudelnde, heiße Bekenntnis einer ersten, vergötternden Liebe.
    Ungeübt waren nun freilich die Augen nicht, die aus dem Menschengewühle heraus den Imperator beobachteten, so verschieden auch der Gang ihrer Schulung und Erfahrungen sein mochte.
    Sophonius Tigellinus, der schlaue, lebenslustige Agrigentiner, verfolgte die Scene zwischen dem Kaiser und dem hocherrötenden Mädchen mit jenem Behagen, das den Lehrer ergreift, wenn er wahrnimmt, wie die Saatkörner, die er ausgestreut, Wurzel schlagen. Claudius Nero schien auf bestem Wege, den hochnäsigen Philosophen Seneca für einen Esel zu halten, und was bis dahin Ausnahme war, zur Richtschnur der Existenz nehmen zu wollen. Die Kleine da mit dem wallenden Blondhaar und den küßlichen Lippen war ganz allerliebst. Hätte nicht Nero so unverhofft angebissen, so würde Sophonius Tigellinus vielleicht in eigener Person . . . Beim Hercules, er konnte sich vorstellen, daß ein kleines intimes Gelage – Cäcuber, Cyprier und dann die Knospe da als Dessert – selbst für ihn seine Reize gehabt hätte. Daran war nun allerdings nicht zu denken, und das blieb sich im Grunde auch gleich, denn Sophonius Tigellinus hatte die Auswahl unter den Schönsten und Vornehmsten; er brauchte die Hand nur auszustrecken, und selbst Poppäa Sabina schlug ihrem Ehegemahl ein Schnippchen . . . Ja, ja, davon war er fest überzeugt, der glänzende
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