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Nelson sucht das Glück

Nelson sucht das Glück

Titel: Nelson sucht das Glück
Autoren: Alan Lazar
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bereits allerlei Einzelheiten zu erkennen, und so blickte er ihr aufmerksam in die blauen Augen, die ihn direkt ansahen. Wenn er ihr dann das Gesicht leckte, schmeckte er ab und zu das salzige Aroma von Tränen heraus. Später in seinem Leben würde er begreifen, was es mit der salzigen Flüssigkeit auf sich hatte, die die Menschen manchmal von sich gaben, doch in diesem Moment genoss er einfach nur den pikanten Geschmack.
    Eines Morgens, als Nelson fünf Wochen alt war, setzte Mrs Anderson ihn und seine Geschwister in einen kleinen Karton. Lola sah ihr ernst dabei zu, doch sie ließ Mrs Anderson, zu der sie tiefstes Vertrauen hatte, gewähren. Mrs Anderson öffnete das Türchen der Wurfkiste und ging aus dem Zimmer, wobei sie den Karton mit den Welpen trug. Lola blieb ihr auf den Fersen.
    In Mrs Andersons Haus war es ein wenig dunkel, doch der Sinfonie von Gerüchen, die auf Nelson einstürmten, als sie durch die Zimmer gingen, tat dies natürlich keinen Abbruch. Da waren die Überreste der Küchendüfte, die er schon zuvor manchmal in der Kiste erschnuppert hatte. Da war der Geruch nach Fleisch und Spiegelei und nach geschmolzener Butter. Da war das runde, glatte Aroma der Pfannkuchen, die Mrs Anderson vor ein paar Tagen gebacken hatte und der noch immer in den Ecken ihres Wohnzimmers hing. Während sie an der Küche vorbeikamen, stieg Nelson auch zum ersten Mal der Geruch von grünen Äpfeln in die Nase, der auf eine ganz andere Art spannend war.
    Als sie in Mrs Andersons Garten hinaustraten, lösten all die Gerüche, die Nelson in die Nase stiegen, eine wahre Duftexplosion in seinem Kopf aus. Zuerst war da der Geruch von Gras, von endlosen Mengen Gras, und es aus der Nähe zu riechen war wesentlich intensiver als jene ferne Duftnote, die er von früher kannte. Mrs Anderson setzte jeden Einzelnen der Welpen auf ihren Rasen und ließ sie laufen. Nelsons kleine, feuchte Nase berührte zum ersten Mal Gras, und es traf ihn wie ein elektrischer Schlag, der durch seinen ganzen Körper lief. Die Welpen verteilten sich auf dem Rasen, weil jeder von einer anderen Duftspur und ihren Verzweigungen angezogen wurde. Wenn dann ab und zu ein Welpe dem Zaun zu nahe kam, der den Garten von der Weide trennte, auf der sich die Pferde und Kühe tummelten, hob Mrs Anderson ihn hoch und brachte ihn zu einer Stelle, die näher am Haus lag. Auch Lola wachte aufmerksam über ihre Kinder und bellte laut, wenn sie sich zu weit entfernten. Doch die fünf flauschigen Welpen achteten kaum auf ihre beiden Mütter. Sie gruben ihre Schnauzen in die Erde, so tief sie nur konnten, versunken in einem Zustand, der der Verzückung sehr nahe kam.
    Als Nelson wieder aufschaute, fiel sein Blick auf die Blumenbeete, die auf beiden Seiten den Garten begrenzten. Vorsichtig tapste er darauf zu, weil er nicht wusste, was das war. Doch als der Duft der Blumen ihm in die Nase stieg, wusste er sogleich, dass keines von diesen seltsamen Dingern ihm etwas tun konnte. Da waren rote Rosen und gelbe Rosen, Amaryllis und Narzissen, Lilien und Usambaraveilchen. Als er sie roch, verlangsamte er seine Schritte wie verzaubert, schloss die Augen und ließ sich einen Moment lang die Sonne auf das Fell scheinen. Viele Jahre später, als Nelson irgendwo in einem heruntergekommenen Viertel in einer Großstadt lebte, in dem es nur Dreck und Beton gab, würde er sich immer noch, wie aus der Ferne, an diesen Garten und an seine erste Begegnung mit Blumen erinnern, und diese Erinnerung schenkte ihm, wenigstens vorübergehend und wie durch Zauber, neue Kraft.
    Mrs Anderson verschwand ein paar Minuten, und als sie zurückkehrte, war ein anderer Hund bei ihr, der etwa so groß war wie Lola. Nelson wusste nicht, dass er gleich seinen Vater kennenlernen würde, King, den Beagle, einen Hund mit entschlossenem Schritt. Nelson spürte die Kraft und den Edelmut des Rüden. King selbst schien an jenem Morgen kein allzu großes Interesse an seiner Nachkommenschaft zu haben, beschnüffelte die Welpen kurz und lief dann davon, um ein Eichhörnchen anzubellen, das sich in die Nähe gewagt hatte. Als King in den Garten kam, hielt sich Lola nahe bei ihren Babys, ließ ihn nicht aus den Augen und knurrte. Keiner von beiden schien sich an ihr leidenschaftliches Liebesspiel von vor ein paar Monaten zu erinnern. Mrs Anderson seufzte, als King seine Jungen nicht weiter beachtete, wusste insgeheim jedoch auch, wie töricht ihre Hoffnung gewesen war, er könne sie lieb gewinnen.
    Das war auch der Tag,
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