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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nötigt, ihn auf seiner Todesreise zu begleiten.«
    Andrej schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Abu Dun war tot. Wenn Clemens ihn durch den Splitter des Kelches gerettet hat, dann hatte er ihn doch genauso ins Leben zurückgezwungen wie Ayla! Und der ersten Sünde eine weitere hinzugefügt …«
    »Wenn es so gewesen wäre, hättest du recht«, unterbrach ihn Ali. »Aber dein Freund ist nicht von den Toten auferstanden. Er war schon fast von dir gegangen, und kein Arzt der Welt hätte ihn retten können. Aber es war noch ein Rest Leben in ihm. Dadurch konnte der Splitter seine heilende Kraft entfalten und Lebenskraft zu Lebenskraft hinzufügen.«
    Andrej hörte Alis Worte, und obwohl sie ihm wirr und ohne Sinn erschienen, verstand er doch ganz tief in seinem Inneren, was sie bedeuteten.
    »Heißt das …«
    »Dass Abu Dun leben wird?« Ali seufzte. »Er lebt doch, oder nicht? Und er scheint auch wieder seine alte Kraft zurückgewonnen zu haben.«
    Oh ja, das hatte er.
    »Nachdem du deinen Teil nun erfüllt hast«, fuhr Ali fort, »und mein Herr durch deine Hilfe den Tod gefunden hat, den er sich sehnlichst herbeigesehnt hat, bin ich jetzt an der Reihe.«
    Er hob noch einmal den kostbaren
Saif
, und diesmal griff Andrej danach, nahm die Waffe an sich und steckte sie nach kurzem Zögern ein.
    »Sie ist glücklich gestorben.« Alis Blick tastete über den verkrümmten Leichnam Aylas. »Ich weiß das. Es war ihr noch einmal vergönnt, den Schleier abzunehmen, ohne, dass die Menschen zu Tode erschrecken und schreiend davonlaufen. Du darfst sie nicht hassen, Andrej. Es war nicht ihre Schuld.«
    »Ich weiß«, sagte Andrej.
    »Dann geh jetzt zu deinem Freund und warte auf mich. Ich brauche nur einen Augenblick. Ich möchte von meiner Schwester Abschied nehmen. Und meinem Herrn.«
    Da war nicht mehr viel, wovon er Abschied nehmen konnte. Das alchemistische Feuer war erloschen, und alles, was vom vermeintlich größten Schatz der Christenheit zurückgeblieben war, war ein Fleck aus schwarz verkohltem Stein und ein wenig Ruß. Für Clemens galt mehr oder weniger das Gleiche. Sein Körper war nahezu zur Gänze zerstört, verbrannt von der Macht, die er selbst hier unten versteckt und die so viel Unglück über die Menschen gebracht hatte. Irgendwie fand Andrej das passend.
    Abu Dun stand nicht nur noch immer unter dem Eingang der großen Halle, sondern auch inmitten eines Schlachtfeldes, und Andrej konnte ein kurzes Frösteln nicht unterdrücken, als ihm klar wurde, wie kurz davor er und die anderen Verteidiger gestanden hatten, einfach überrannt zu werden. Vielleicht hatten sie noch ein Dutzend Schritte von ihm und den anderen getrennt. Ein Herzschlag oder zwei.
    Die Verteidiger hatten einen furchtbaren Blutzoll bezahlt. Abgesehen von Abu Dun selbst hatte nur ein einziger Assassine überlebt und nicht ein Soldat. Die einzige Gestalt in Blau und Gelb, die sich noch regte, war Fernando, der noch immer auf Händen und Knien hockte und mit Augen zu ihm hochsah, die vor Furcht schier aus den Höhlen quollen. Offenbar war seine Angst vor ihm noch größer gewesen als vor den lebenden Toten, denn er war den grässlichen Angreifern sogar noch entgegengekrochen. Und er war um Haaresbreite davongekommen – vielleicht wortwörtlich den einen Herzschlag, den das verheerende Gift noch davon entfernt gewesen war, seinen ganzen Körper zu überfluten: Er blutete aus einer tiefen Bisswunde in der Hand, und die Kreatur, die ihn gebissen hatte, lag kaum einen halben Schritt neben ihm, die Zähne noch rot und nass von ihrem letzten Opfer.
    Andrej ging rasch hin, ließ sich neben dem Hauptmann auf ein Knie sinken und griff nach Fernandos Schultern. Quietschend vor Angst versuchte der Soldat, rücklings vor ihm wegzukriechen, doch Andrej stieß ihn mit der einen Hand zu Boden und riss mit der anderen seinen Arm hoch, um die Wunde genauer zu untersuchen. Sie war wirklich übel und musste nicht nur höllisch schmerzen, sondern würde den Mann vermutlich ein paar Finger kosten, wenn nicht die ganze Hand. Aber es war eben nur eine Wunde, mehr nicht.
    »Du musst dringend zu einem Arzt«, sagte er und kam sich dabei lächerlich vor, »und du wirst vielleicht die Hand verlieren, aber du wirst es überleben.«
    »Du willst mich … mich nicht … töten?«, stammelte der Mann.
    Andrej ließ seine Hand los, stand auf und las eine Frage in Abu Duns Augen. »Das ist nicht nötig«, antwortete er mit einer Geste auf das Schwert in Abu Duns Hand
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