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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aus tausend Kehlen ließ das unterirdische Gewölbe erzittern, und überall rings um ihn herum erlosch der erbitterte Kampf zwischen Lebenden und Toten, als die unheimlichen Angreifer einer nach dem anderen erlahmten und zu Boden sanken.
    Ayla begann zu wimmern, und nun war es ihr Schmerz und ihre grell auflodernde Furcht, die Andrej wie seine eigene spürte. Erschrocken fuhr er herum.
    Vor seinen Augen wiederholte sich das, was er gerade schon einmal beobachtet hatte, nun in umgekehrter Reihenfolge und beinahe noch schneller und ungleich schrecklicher. Zuerst kehrten ihre Tätowierungen zurück, dann all ihre Wunden und Verletzungen, sodass er mit einem Male wieder in das furchtbare Totenkopf-Gesicht starrte, das unter dem Schleier verborgen gewesen war.
    Doch damit war es nicht vorbei, denn das Schicksal forderte auch die gestohlene Zeit zurück, nun, wo der unheimliche Bann einmal gebrochen war. Ayla sank wimmernd auf die Knie, und mit jedem Zoll, den sie sich bewegte, schien sie um ein Jahr zu altern. Ihr Gesicht und ihre verstümmelten Hände zerfielen weiter, was von ihrem Haar übrig war, verblasste zu grauen Strähnen und wurde dann zu Staub, und das, was schließlich mit einem sonderbar rasselnden Laut leblos zu Boden fiel, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit einem menschlichen Körper.
    Dann wurde es still.
    Das Getöse der verzweifelten Überlebensschlacht war endgültig verstummt, nur das Prasseln der Flammen und ein gelegentliches Wimmern und Stöhnen war zu hören – und das schluchzende Brabbeln Altieris, dessen Verstand sich hinter eine Mauer aus Wahnsinn zurückgezogen hatte, um nicht endgültig zu zerbrechen – falls das nicht ohnehin schon geschehen war.
    Nichts davon war von Bedeutung. Ganz einfach, weil
nichts
mehr etwas bedeutete.
    Mit dem Tod des Mädchens war nicht nur seine schreckliche Macht über die Toten erloschen, sondern auch der Bann, in das es Andrejs Gedanken und Seele geschlagen hatte. Sein Verstand meldete sich mit gewohnter Schärfe und Unerbittlichkeit zurück und sagte ihm, dass es nichts mehr gab, was er tun konnte, und auch nichts, dessen er sich schämen oder das er bedauern musste. Er war nicht er selbst gewesen.
    Nur war es kein Trost. Sein alter Freund, die Logik, ließ ihn im Stich, und in ihm war nichts als Leere, ein Abgrund aus schwarzem Nichts, der schlimmer war, als es jeder Schmerz hätte sein können. Mit Ayla war auch ein Teil von ihm gestorben, ganz gleich, was sie auch in Wahrheit gewesen sein und was sie ihm angetan haben mochte. Sie hatte etwas mitgenommen, und was genau und wie groß dieser Teil war, das wagte er noch nicht einmal abzuschätzen.
    Schritte näherten sich, und Andrej gewahrte einen hochgewachsenen schwarzen Umriss aus den Augenwinkeln und nahm an, dass es sich um Abu Dun handelte, der gekommen war, um wahrzumachen, was er ihm oben in der großen Halle angedroht hatte. Es war ihm gleich. Er würde sich nicht wehren, auch das war eine Entscheidung, die er ganz rational und in vollem Bewusstsein ihrer Tragweite fällte. Mit dem, was er Fernando um ein Haar angetan hätte, hatte er endgültig eine Grenze überschritten, jenseits derer es vielleicht keine Umkehr mehr gab. Wenn Abu Dun meinte, das nicht akzeptieren zu können, dann hatte er vermutlich recht damit.
    Es war jedoch nicht Abu Duns Stimme, die an sein Ohr drang, sondern Alis. »Andrej?«
    Was aber wahrscheinlich keinen Unterschied machte. Er würde sich nicht verteidigen. Er hatte kein Recht dazu.
    Ali ließ sich in die Hocke sinken, um etwas aufzuheben, bevor er die beiden letzten Schritte zurücklegte. Etwas blitzte golden vor seinem schwarzen Umriss auf. Er blieb schräg hinter ihm stehen, ohne noch etwas zu sagen. Auch Andrej drehte sich nicht zu ihm herum, sondern sah weiter auf den reglos daliegenden Körper vor sich herab. Das Schrecklichste überhaupt war vielleicht, dass er selbst diesem verheerten Körper und dem zerstörten Gesicht noch ansehen konnte, was für eine wunderschöne Frau sie einmal geworden wäre. Er sollte sie hassen, für alles, was sie ihm und all den unzähligen anderen angetan hatte, aber es gelang ihm nicht.
    »Worauf wartest du?«, fragte er irgendwann dann doch.
    Ali reagierte nicht. Metall scharrte über Stoff, und er konnte hören, wie sich Alis Herzschlag beschleunigte, als er sich nun doch – sehr langsam – zu ihm umwandte. Erst jetzt erkannte er, was Ali vom Boden aufgehoben und mitgebracht hatte. »Mein eigenes Schwert. Wie passend. Aber ich
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