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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in der dritten Etage unter der Erde, und ein stiller, richtig wortkarger Mann nahm einen Wasserschlauch und spritzte Doroguschin an, bis er fast ertrank. Dann stellte man ihn nackt in eine andere leere Zelle und drehte eine Kühlanlage an.
    »Genossen! Brüder!« brüllte Doroguschin. »Alles will ich sagen! Alles! Alles! Ja, er hat Tumanow umbringen lassen … und ich weiß noch mehr … noch mehr …«
    »Wie gut er singen kann«, sagte ein dunkelhaariger, schlanker Kommissar und machte sich Notizen in einem Buch. »War ja Operndirektor, der kleine Fette, was?! Nun fang mal an, mein Lieber … auch hier ist ein Opernhaus, ein gutes sogar. Nur Uraufführungen gibt's hier –«
    Natascha erfuhr es in der Oper, daß Doroguschin abgeholt worden war. Wohin er gekommen, das wußte niemand. Wer sollte denn auch fragen, ich bitte.
    »Man sollte in den Kreml gehen«, sagte Natascha zu Luka. Die Opernvorstellungen fielen aus. Das sowjetische Volk verfiel in Trauer um Stalin. Es hieß, er solle einbalsamiert im Mausoleum neben Lenin liegen … zwei Männer, die die Welt erschütterten. An seiner Leiche hielten sie Ehrenwache … Bulganin und Malenkow, Chruschtschow und Kaganowitsch. Ein trauerndes Quartett mit dem Herzen Kains.
    »Warum?« fragte Luka. »Wegen Doroguschin?«
    »Sehen will ich, ob man mich jetzt zu Sedow läßt. Sechs Jahre habe ich ihn nicht gesehen!«
    »Es wird sich gar nichts ändern, Täubchen«, sagte Luka. Man fragt sich manchmal wirklich, Freunde, woher ein Idiot ab und zu ein so kluges Wörtchen spricht. »Sehen wirst du's … sie werden Sprüchchen reden und sagen: Im Auge werden wir's behalten, Genossin …«
    »Trotzdem – ich werde fragen!«
    Gleich nach der Überführung Stalins in das Mausoleum, bei der auf dem Roten Platz vierzigtausend Menschen weinten, brachte es Natascha fertig, zu Berija vorgelassen zu werden. Schlecht sah er aus, der Genosse Innenminister, mit dunklen Rändern hinter dem Kneifer, schmalem Mund und nervös zuckenden Fingern. Aber er lächelte, als er Natascha begrüßte und war so galant, ihr ein Glas Krimwein kommen zu lassen.
    »Sie haben einen Wunsch, Genossin?« fragte er.
    »Einen alten, Genosse Berija. Es mag sein, daß jetzt eine Zeit kommt, in der man das Vergessen fleißig übt … eine Frau bin ich, und eine Frau vergißt nicht. Wußten Sie das nicht?«
    »Wer kann es übersehen, wenn Sie vor einem stehen, Natascha Tschugunowa?« Berija drückte nervös an seinem Kneifer. Er sprach schnell, hastig fast, mit stoßweisem Atem. Wahrlich, es war nervös, das Brüderchen. »Ihren Mann besuchen wollen Sie?«
    »Sie können Gedanken lesen?« fragte Natascha spöttisch.
    »Es wird sich möglich machen lassen«, sagte Berija. »Wir sind in einer großen Umstellung. Auch in Jessey gehen große Dinge vor. Wenn alles gut verläuft, kann ich ein Abteil für Sie im Juni zur Verfügung stellen.«
    »Im Juni?«
    »Es ist eine große Auszeichnung, Genossin. Ich möchte sagen: Eine einmalige Auszeichnung. Keine Frau, kein Fremder hat jemals den Boden von Jessey betreten, es sei denn, er bliebe vom ersten Schritt an da!«
    »Ist's nicht verwunderlich, daß es auf einmal geht, Genosse?«
    Berija drückte wieder an dem Kneifer. Ganz rot schon war sein Nasenrücken. »Stalin –«, sagte er gedehnt. »Er war ein großer Mann, der größte neben Lenin … aber eigene Ansichten hatte er. Glauben Sie, Genossin Tschugunowa, daß ich persönlich nie …«
    So ist's, Genossen! Ein Toter ist der schwerste Mensch … man bürdet ihm die Sünden der Überlebenden auf den Buckel. Und nicht dagegen wehren kann er sich … das macht ihn angenehm für alle, die zurückbleiben. So war es immer … warum verlangt ihr eine Ausnahme gerade hier? Ein Spielchen ist's doch, das so alt ist wie die Menschheit.
    Mit Doroguschin war auch Polina Jelzowa verschwunden. Ganz plötzlich … sogar einen Mantel hatte sie hängenlassen, ihre Noten lagen auf dem Flügel, und im Badezimmer hing ihr Beutel mit Seife, Zahncreme und einigen Lockenwicklern. Das war verwunderlich, denn Locken hatte Polina nie besessen. Einen Madonnenscheitel hatte sie, wie bekannt. Alles war ein wenig rätselhaft, und Luka ärgerte sich.
    »Falsch leben ist eine Dummheit«, sagte Luka. »Aber es zu wissen, ist harte Prügel wert!«
    Verdammt will ich sein, wenn das nicht Philosophie ist …
    Es wurde Juni, in Moskau liefen sie herum in weißen Hemden und Luka schwitzte, daß es in seinen Schuhen quietschte. Der Genosse Georgij M. Malenkow

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