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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
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denn sah, daß es da draußen keine Freude mehr für mich gibt, da dachte ich mir ehe ich hinunter muß, will ich noch ein wenig zeichnen und ein paar Figuren machen, irgendeine Freude will man doch haben.«
    Narziß sagte ihm: »I ch bin so froh, daß du wiederge kommen bist. Du hast mir so sehr gefehlt, ich habe jeden Tag an dich gedacht, und oft hatte ich Angst, du würdest nie mehr wiederkommen wollen.«
    Goldmund schüttelte den Kopf: »Nun, der Verlust wäre nicht groß gewesen.«
    Narziß, das Herz vor Weh und Liebe brennend, bückte sich langsam zu ihm herab, und nun tat er, was er in den vielen Jahren ihrer Freundschaft niemals geta n hatte, er berührte Goldmunds Haar und Stirn mit seinen Lippen.
    Verwundert zuerst, dann ergriffen, merkte Goldmund, was geschehen sei.
    »Goldm und«, flüsterte ihm der Freund in s Ohr, »verzeih, daß ich es dir nicht früher habe sagen können. Ich hätte es dir sagen sollen, als ich dich damals in deinem Gefängnis aufsuchte, in der Bischofsresidenz, oder als ich deine ersten Figuren zu sehen bekam, oder irgendeinmal.
    Laß es mich dir heute sagen, wie sehr ich dich liebe, wieviel du mir immer gewesen bist, wie reich du mein Leben gemacht hast. Es wird dir nicht sehr viel bedeuten. Du bist an Liebe gewohnt, sie ist für dich nichts Seltenes, du bist von so vielen Frauen geliebt und verwöhnt worden. Für mich ist es anders. Mein Leben ist arm an Liebe gewesen, es hat mir am Besten gefehlt. Unser Abt Daniel sagte mir einst, daß er mich für hochmütig halte, wahrscheinlich hat er recht gehabt. Ich bin nicht ungerecht gegen die Menschen, ich gebe mir Mühe, gerecht und geduldig mit ihnen zu sein, aber geliebt habe ich sie nie. Von zwei Gelehrten im Kloster ist der Gelehrtere mir lieber, nie habe ich etwa einen schwachen Gelehrten trotz seiner Schwäche liebgehabt. Wenn ich trotzdem weiß, was Liebe ist, so ist es deinetwegen. Dich habe ich lieben können, dich allein unter den Menschen. Du kannst nicht ermessen, was das bedeutet. Es bedeutet den Quell in einer Wüste, den blühenden Baum in einer Wildnis. Dir allein danke ich es, daß mein Herz nicht verdorrt ist, daß eine Stelle in mir blieb, die von der Gnade erreicht werden kann.«
    Goldmund lächelte froh und etwas verlegen. Mit der leisen ruhigen Stimme, die er in seinen klaren Stunden hatte, sagte er: »Als du mich damals vom Galgen befreit hattest und wir heimritten, fragte ich dich nach meinem Pferde Bleß, und du gabst mir Auskunft. Damals sah ich, daß du, der du sonst Pferde kaum aus einanderkennst, dich um das Rößchen Bleß bekümmert hattest Ich verstand, daß du es meinetwegen getan hattest, und war sehr froh darüber.
    Jetzt sehe ich, daß es wirklich so war und daß du mich wirklich liebhast. Auch ich habe dich immer liebgehabt, Narziß, die Hälfte meines Lebens ist ein Werben um dich gewesen. Ich wußte, daß auch du mich gern hattest, aber nie hatte ich gehofft, daß du es mir einmal sagen würdest, du stolzer Mensch. Jetzt hast du es mir gesagt, in diesem Augenblick, wo ich nichts anderes mehr habe, wo Wanderschaft und Freiheit, Welt und Weiber mich im Stich gelassen haben. Ich nehme es an, ich danke dir dafür.«
    Die Lydia-Madonna stand in der Kammer und sah zu.
    »Du denkst immer ans Sterben?« fragte Narziß.
    »Ja, ich denke daran und an das, was aus meinem Leben geworden ist Als Jüngling, als ich noch dein Schüler war, hatte ich den Wunsch, ein so geistiger Mensch zu werden wie du. Du hast mir gezeigt, daß ich nicht dazu berufen war. Dann warf ich mich auf die andere Seite des Lebens, auf die Sinne, und die Frauen haben es mir leichtgemacht, dort meine Lust zu finden, sie sind so willig und gierig.
    Doch möchte ich ja nicht verächtlich von ihnen sprechen und auch nicht von der Sinnenlust, ich bin oft sehr glücklich gewesen. Und ich habe auch das Glück gehabt zu erleben, daß die Sinnlichkeit beseelt werden kann. Daraus entsteht die Kunst. Jetzt aber sind beide Flammen erloschen.
    Ich habe das tierische Glück der Wollust nicht mehr – und ich hatte es auch nicht, wenn die Frauen mir noch heute nachliefen. Und Kunstwerke zu schaffen, ist auch nicht mehr mein Wunsch, ich habe genug Figuren gemacht, es kommt auf die Zahl nicht an. Darum ist es für mich Zeit zu sterben. Ich bin willig dazu und bin neugierig darauf.«
    »Warum neugierig?« fragte Narziß.
    »Nun, es ist wohl etwas dumm von mir. Aber ich bin wirklich neugierig darauf. Nich t auf das Jenseits, Narziß, darüber mache ich nur
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