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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
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Abt, daß Goldmund nach dem Ablauf seiner Bußzeit und dem Empfang des Sakramentes die täglichen Übungen weiter vollzog, wochen- und monatelang.
    Währenddessen rückte sein Werk voran. Aus der dicken Treppenspindel wuchs eine kleine quellende Welt von Gestaltungen, von Pflanzen, Tieren und Menschen empor, in ihrer Mitte ein Vater Noah zwischen Weinlaub und Trauben, ein Bilderbuch und Lobpreis der Schöpfung und ihrer Schönheit, frei spielend, aber von einer geheimen Ordnung und Zucht geleitet. Während all der Monate sah niemand das 305
    Werk außer Erich, der dabei Handreichung tun durfte und keinen andern Gedanken mehr hatte, als ein Künstler werden zu dürfen. An manchen Tagen durfte auch er die Werkstatt nicht betreten. An andern Tagen nahm Goldmund sich seiner an, unterwies ihn und ließ ihn probieren, froh daran, einen Gläubigen und Schüler zu haben. War das Werk fertig und geglückt, so dachte er ihn von seinem Vater loszubitten und zum ständigen Gehilfen zu erziehen.
    An den Figuren der Evangelisten arbeitete er an seinen besten Tagen, wenn alles im Einklang war und keine Zweifel ihn beschatteten. Am besten, so schien ihm, gelang ihm die Figur, der er die Züge des Abtes Daniel gab, er liebte sie sehr, von ihrem Gesicht strahlte Unschuld und Güte aus Mit der Figur des Meisters Niklaus war er weniger zufrieden, obwohl Erich diese am meisten bewunderte. Diese Gestalt zeigte Zwiespalt und Trauer, sie schien voll hoher Schöpferpläne und zugleich voll verzweifelten Wissens um die Nichtigkeit des Schöpfertums, voll Trauer um eine verlorene Einheit und Unschuld.
    Als der Abt Daniel fertig war, hieß er Erich die Werkstatt säubern. Er verhängte das übrige Werk mit Tüchern und stellte nur diese eine Figur ans Licht. Dann ging er zu Narziß und wartete, da dieser beschäftigt war, geduldig bis zum nächsten Tag. Dann führte er zur Mittagsstunde den Freund in seine Werkstatt und vor die Figur.
    Narziß stand und schaute. Er stand und ließ sich Zeit, mit der Aufmerksamkeit und Sorgfalt des Gelehrten betrachtete er die Gestalt Goldmund stand hinter ihm, schweigend, und suchte den Sturm in seinem Herzen zu bändigen »Oh«, dachte er, »wenn jetzt einer von uns beiden nicht besteht, dann ist es böse. Wenn mein Werk nicht gut genug ist, oder wenn er es nicht verstehen kann, dann hat alle meine Arbeit hier ihren Wert verloren. Ich hätte doch noch warten sollen.«

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    Die Minuten schienen ihm Stunden, er dachte an die Stunde, da Meister Niklaus seine erste Zeichnung in den Händen gehalten hatte, er preßte die heißfeuchten Hände ineinander vor Spannung.
    Narziß wendete sich zu ihm um, und alsbald fühlte er sich erlöst. Er sah in des Freundes schmalem Gesicht etwas blühen, das ihm seit den Knabenjahren nicht mehr ge-blüht hatte ein Lächeln, ein beinah schüchternes Lächeln in diesem Gesicht voll Geist und Willen, ein Lächeln der Liebe und Hingabe, einen Schimmer, als sei die Einsamkeit und der Stolz dieses Gesichts für einen Augenblick durchbrochen und es schiene nichts daraus hervor als ein Herz voll Liebe.
    »Goldmund«, sagte Narziß ganz leise, auch jetzt die Worte wägend, »du erwartest nicht von mir, daß ich plötzlich ein Kunstkenner sein soll. Ich bin es nicht, du weißt es Ich kann dir über deine Kunst nichts sagen, was dir nicht lächerlich wäre. Aber laß mich dir das eine sagen: beim ersten Blick habe ich in diesem Evangelisten unsern Abt Daniel erkannt, und nicht nur ihn, sondern auch alles, was er uns damals bedeutet hat die Würde, die Güte, die Einfalt. So, wie der selige Vater Daniel vor unserer jugendlichen Ehrfurcht stand, so steht er hier wieder vor mir, und mit ihm alles, was damals uns heilig war und was uns jene Zeit unvergeßlich macht. Du hast mich mit diesem Anblick reich beschenkt, mein Freund, du hast mir nicht nur unsern Abt Daniel wiedergegeben, du hast mir, zum erstenmal, dich selbst ganz erschlossen. Ich weiß jetzt, wer du bist. Laß uns nicht mehr darüber reden, ich darf es nicht. O Goldmund, daß uns diese Stunde gekommen ist!«
    Es war still in dem großen Raum. Goldmund sah, daß sein Freund im Herzen bewegt war Eine Verlegenheit engte ihm den Atem

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    »Ja«, sagte er kurz, »ich bin froh darüber Aber es ist nun wohl Zeit, daß du zu Tische gehst.«
    Neunzehntes Kapitel
    Zwei Jahre arbeitete Goldmund an diesem Werk, und vom zweiten Jahr an bekam er Erich ganz als Schüler zugewiesen. Im Schnitzwerk der Treppe dichtete er ein kleines Paradies, mit
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