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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
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besonders im Griechischen. Diese beiden, der Abt und der Novize, hatten Geltung im Hause, waren beobachtet und weckten Neugierde, wurden bewundert und beneidet und auch heimlich gelästert.
    Den Abt liebten die meisten, er hatte keine Feinde, er war voll Güte, voll Einfalt, voll Demut. Nur die Gelehrten des Klosters mischten in ihre Liebe etwas von Herablas-sung; denn Abt Daniel mochte ein Heiliger sein, ein Gelehrter jedoch war er nicht. Ihm war jene Einfalt eigen, welche Weisheit ist; aber sein Latein war bescheiden, und Griechisch konnte er überhaupt nicht.
    Jene wenigen, welche gelegentlich die Einfalt des Abtes etwas belächelten, waren desto mehr von Narziß bezaubert, dem Wunderknaben, dem schönen Jüngling mit dem eleganten Griechisch, mit dem ritterlich tadellosen Beneh-7
    men, mit dem stillen, eindringlichen Denkerblick und den schmalen, schön und streng gezeichneten Lippen. Daß er wunderbar Griechisch konnte, liebten die Gelehrten an ihm. Daß er so edel und fein war, liebten beinahe alle an ihm, viele waren in ihn verliebt. Daß er so sehr still und beherrscht war und so höfische Manieren hatte, nahmen manche ihm übel.
    Abt und Novize, jeder trug auf seine Art das Schicksal des Auserwählten, herrschte auf seine Art, litt auf seine Art. Jeder der beiden fühlte sich dem andern mehr verwandt und mehr zu ihm hingezogen als zum ganzen übrigen Klostervolk; dennoch fanden sie nicht zueinander, dennoch konnte keiner beim andern warm werden. Der Abt behandelte den Jüngling mit größter Sorgfalt, mit größter Rücksicht, hatte um ihn Sorge als um einen seltenen, zarten, vielleicht allzufrüh gereiften, vielleicht gefähr-deten Bruder. Der Jüngling nahm jeden Befehl, jeden Rat, jedes Lob des Abtes mit vollkommener Haltung entgegen, widersprach niemals, war nie verstimmt, und wenn das Urteil des Abtes über ihn richtig und sein einziges Laster der Hochmut war, so wußte er dies Laster wunderbar zu verbergen. Es war gegen ihn nichts zu sagen, er war vollkommen, er war allen überlegen. Nur wurden wenige ihm wirklich Freund, außer den Gelehrten, nur umgab seine Vornehmheit ihn wie eine erkältende Luft.
    »Narziß«, sagte der Abt nach einer Beichte zu ihm, »ich bekenne mich eines harten Urteils über dich schuldig. Ich habe dich oft für hochmütig gehalten, und vielleicht tat ich dir damit unrecht. Du bist sehr allein, junger Bruder, du bist einsam, du hast Bewunderer, aber keine Freunde. Ich wollte wohl, ich hätte Anlaß, dich zuweilen zu tadeln; aber es ist kein Anlaß. Ich wollte wohl, du wärest manchmal unartig, wie es junge Leute deines Alters sonst leicht sind.

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    Du bist es nie. Ich sorge mich zuweilen ein wenig um dich, Narziß.«
    Der Junge schlug seine dunklen Augen zu dem Alten auf.
    »Ich wünsche sehr, gnädiger Vater, Euch keine Sorge zu machen. Es mag wohl sein, daß ich hochmütig bin, gnädiger Vater. Ich bitte Euch, mich dafür zu strafen. Ich habe selbst zuzeiten den Wunsch, mich zu strafen. Schickt mich in eine Einsiedelei, Vater, oder lasset mich niedere Dienste tun.«
    »Für beides bist du zu jung, lieber Bruder«, sagte der Abt. »Überdies bist du der Sprachen und des Denkens in hohem Grade fähig, mein Sohn; es wäre eine Vergeudung dieser Gottesgaben, wollte ich dir niedere Dienste auftra-gen. Wahrscheinlich wirst du wohl ein Lehrer und Gelehrter werden. Wünschest du dies nicht selbst?«
    »Verzeiht, Vater, ich weiß über meine Wünsche nicht so sehr genau Bescheid. Ich werde stets Freude an den Wissenschaften haben, wie sollte es anders sein? Aber ich glaube nicht, daß die Wissenschaften mein einziges Gebiet sein werden. Es mögen ja nicht immer die Wünsche sein, die eines Menschen Schicksal und Sendung bestimmen, sondern anderes, Vorbestimmtes.«
    Der Abt horchte und wurde ernst. Dennoch stand ein Lächeln auf seinem alten Gesicht, als er sagte: »Soviel ich die Menschen habe kennenlernen, neigen wir, zumal in der Jugend, alle ein wenig dazu, die Vorsehung und unsere Wünsche miteinander zu verwechseln. Aber sage mir, da du deine Bestimmung vorauszuwissen glaubst, ein Wort darüber. Wozu denn glaubst du bestimmt zu sein?« Narziß schloß seine dunklen Augen halb, daß sie unter den langen schwarzen Wimpern verschwanden. Er schwieg.
    »Sprich, mein Sohn«, mahnte nach langem Warten der Abt. Mit leiser Stimme und gesenkten Augen begann Narziß zu sprechen.

9
    »Ich glaube zu wissen, gnädiger Vater, daß ich vor allem zum Klosterleben bestimmt bin. Ich werde, so
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