Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
zum Manipulieren, für unseren sanften Robert.
     
    Er will, dass ich sie kennenlerne, ich sage Nein. Auf gar keinen Fall.
    Ich gehe mit. Ich gehe mit ihm, bis ich nicht mehr kann. Oder? Bis er nicht mehr kann? Etwas Neues taucht da in mir auf, unbekannt
     und finster.
    Ihr Atelier ist ein normales Zimmer in einem normalen heruntergekommenen Altbau in der Nähe vom Gleisdreieck. Mit Balkon und
     Rankpflanzen im Sommer, wuchernden Gräsern im Hinterhof, jetzt alles grau, eine Bauruine zur Linken, eine Brandmauer zur Rechten,
     abblätternder Putz. Gepflegte Kahlheit innen. Eine Pferdedecke auf dem Bett, Kissenbezüge aus alten Teppichen. Rauhe Wände.
     Farben, Kohle, Bleistifte auf einem Tisch. Überall Zeichnungen, Studien; ringsum nur ihre eigenen Bilder, die sie anglotzen.
     Ich kenne Ateliers. Von echten Künstlern. Okay, die haben auch ihre Bilder stehen, aber nicht gerahmt und aufgehängt. Eher
     verdeckt oder umgedreht oder in Arbeit. Die hier will nur eine Künstlerin sein. Ich sehe das sofort. Behauptete Improvisation,
     behauptete Intimität, dabei alles hininszeniert. Die passt gut zu meinem Möchtegerndichter, soll sie ihn haben.
    Ich mache sie an, lasse meinen Charme spielen, und zwar die abgefuckte Art; solche Mädchen stehen drauf. Ich knöpfe mir auf
     dem Klo die Knöpfe an meinem T-Shirt weiter auf. Ich |280| bewege mich wie eine Katze. Robert wird nervös, ich sehe es aus den Augenwinkeln. Ich streife Irina am Rücken mit meinen Brustwarzen,
     als ich ihr über die Schulter auf ein Bild schaue. Robert wird rot. Tja, mein Lieber, denke ich, du alter Spießer, du hältst
     dich für besonders enthemmt, du hast keine Ahnung.
    Wir bewegen uns alle in gefährlichen Gewässern, sage ich und tue so, als sagte ich es zu den Bildern. Ich lächle hintergründig.
     Ich gehe zu Robert und streiche ihm über sein Geschlecht, greife ihm zwischen die Beine, so mal eben im Vorübergehen; das
     hat mir Theo beigebracht. Es funktioniert, er dreht sich weg.
    Irina ist irritiert. Auch darin passt sie zu Robert. Alles schön in der Schwebe lassen, wie auf ihren Bildern, bloß keine
     nackte Haut zeigen. Die gehen sich nicht auf den Grund, diese Sorte Mäuse, würde Heumann sagen. Heumann, ich danke dir, du
     hast mir den Blick geschärft, und mein Unglück macht ihn messerscharf.
    Ich lächle, ich lache, ich tue so, als wäre es das, was ich mir immer gewünscht hätte.
    Irina hat Apfelkuchen gebacken (!), die beiden stochern darin herum, ich tue so, als äße ich mit großem Appetit und schaufle
     ihn mit Sahne rein. Ich hasse Kuchen.
     
    Abends sage ich, ich will allein sein. Ich fühle die Migräne kommen, wie eine unaufhaltsame Welle, ich fresse drei Aspirin
     und schleppe mich mit letzter Anstrengung zu Nora. Bei Nora heule ich und heule und heule. Ich habe keine Unschuld mehr, sie
     ist mir auf immer verloren. Der Sadist erträgt die Unschuld nicht, er muss sie zerstören. Ich bin meine eigene Sadistin. Zu
     überleben! Zerstören, zerstören! Kauf dir eine Lederhaut und trage sie von Kopf bis Fuß! Bohr dir Nägel in die Haut! Nein!
     Nein! Schreien!
     
    |281| Das Ende des Subjekts ist sein Anfang.
    Die Liebe ist eine endlose Trauer, die ich in Freude zu verwandeln suchte. In der Liebe reißt alles auf. Ich suche endlich
     Schutz.
     
    Ich wandere durch meine Stadt. Am Abend, in der Nacht. Ich sehe die Lichter, die Häuser. Blicke wie Angelhaken. Ich weiche
     ihnen aus. Das Alleinsein ist gut. Ich schwebe. Es ist gut. Ich sehe mich in einem Schaufenster, eine Frau huscht hinter mir
     vorbei, ihr Schemen kreuzt sich mit meinem, ich starre in zwei Glasaugen, die mich anstarren, es ist die Puppe hinter der
     Scheibe. Die Häuser wachsen in die Höhe, tanzen. Ich tanze.
     
    Ich schlafe allein. Ich habe Alpträume, in denen die Eifersucht ihr hässlichstes Gesicht zeigt. Ich falle auseinander. Ich
     werde zerstückelt, ich sehe einer Zerstückelung zu. Ich will schreien und ich kann nicht.
This will be the very end.
Ich habe genug. Ich hole weiße Farbe und mache alles neu. Risse im Firnis. Farbe blank.
     
    —————————
     
    Irina schreibt mir einen verräterischen Brief, in dem sie behauptet, zwischen ihr und Robert wäre nichts, er wäre ihr zu negativ,
     aber ich solle sie besuchen kommen.
    Robert wimmert vor meiner Tür.
    Lasst mich in Ruhe mit euren idiotischen Spielen!
    Ich habe das endlose Territorium der Nicht-Identität durchwandert
, lese ich, von Virginia Woolf.
    Ich liege auf meinem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher