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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume
Autoren: A Michaelis
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verlasse dich!«, zischte er böse. Doch er klang erstaunlich zufrieden dabei. »Glaub das ja nicht! Ich werde immer bei dir bleiben! Ich werde dich besuchen, in deinen Albträumen. Und all deine selbst gebauten Maschinen, mit denen du bei irgendwelchen Talentwettbewerben nicht den ersten Platz gewonnen hast, du Versager: Sie werden dir nichts nützen, um mich loszuwerden! Nichts! Denn eine Maschine, die deine Albträume beseitigt, wirst du niemals bauen können! Ha! Du wirst immer ein Versager bleiben!«
    Nachdem er das gesagt hatte, zerbarst der Sarg in tausend Fetzen, die wie Konfetti in der Luft tanzten, und einen Moment später sah Frederic, dass der nächtliche Schulhof jetzt voller schwarzer Gestalten war.
    Er machte einen Schritt zurück. Die Albträume hatten sich auf dem Schulhof versammelt und zogen ihren Kreis immer enger und enger um Frederic und Änna. Da waren Albträume aller Art: Albträume von glutäugigen Bestien, Albträume von lähmender, wabernder Angst, Albträume von Streit und Albträume von Schlangen, von Abgründen. Von verschlossenen Umschlägen mit drohendem Absender und von leeren Zimmern, in denen jemand allein gelassen worden, jemand nicht zurückgekehrt war.
    Ganz vorne stand ein Albtraum von einem Verkehrsunfall. Es war nicht Annas Verkehrsunfall, Frederic sah es gleich. Doch der verbogene Fahrradlenker und das Blaulicht eines zu spät erschienenen Krankenwagens rissen an seinem Herzen.
    Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die Träume hatten recht gehabt: Der schnelle Wechsel ihrer abgründigen Szenen, die bösen Stimmen, die Gewissheit, dass es keinen Ausweg gab: Es war zu viel. Selbst der mutigste Mensch würde hier unten den Verstand verlieren. Er sah sich um. Die Blätter der Kastanie auf dem albgeträumten Schulhof waren schwarz und tot. Es gab nichts Schönes hier unten, nicht einmal das kleinste, winzigste Stück von etwas Schönem.
    »Änna«, flüsterte er. »Weshalb sind wir hier? Ich erinnere mich nicht …«
    »Um ihnen zu sagen, dass sie sich klein machen müssen«, wisperte Änna. »Damit sie aus dem Schacht können.«
    Und da entsann er sich. »Damit sie aus dem Schacht können«, fuhr er leise fort. »Damit sie uns helfen können, die anderen Träume zu befreien und HD Bruhns’ Maschine zu zerstören.«
    Da trat einer der Träume aus der Menge vor und sah auf sie herab. Er war lang und hager. Sein menschliches Vorbild hatte vor vielen – zu vielen – Jahren nachts an einem Schreibtisch gesessen und gelernt – gelernt, böse zu sein.
    »Ihr habt euch geirrt«, sagte er. »Die Albträume werden sich nicht klein machen, um euch zu helfen. Sie machen sich niemals freiwillig klein. Das ist die Natur der Albträume. Und nichts kann sie genügend erschrecken, um sie dazu zu zwingen, sich zu verdichten. Nichts. Ihr könnt die anderen Träume nicht retten. Ihr könnt die Maschine nicht zerstören. Ihr könnt gar nichts. Nicht einmal hier überleben. Du hast recht, Frederic. Es gibt nicht das kleinste bisschen Schöne hier unten. Dies ist euer Ende.«
    Hinter dem ersten Albtraum-Bruhns sah Frederic jetzt eine ganze Gruppe von Schuldirektoren, albgeträumten Schuldirektoren, so weit das Auge reichte. Und in dem Moment, als der vorderste Bork Bruhns sagte: »Es gibt nicht das kleinste bisschen Schöne hier unten«, in dem Moment wusste Frederic, was sie tun mussten. Er wusste, was sie brauchten, um die Albträume dazu zu bringen, sich klein zu machen. In Bruhns Maschine war etwas Schönes gewesen!
    Die blaue Blume. Frederic hatte sie beinahe vergessen. Nur, dass es hier unten keine blauen Blumen gab. Es gab überhaupt keine Blumen. Die Albträume zogen ihren Kreis noch ein wenig enger, leckten sich die Klauen und wetzten ihre bösen Lippen. Frederic spürte Ännas Angst.
    Woher bekam man hier unten etwas Schönes?
    »Nur noch der Ordner dort«, sagte Kahlhorst. »Und natürlich die Keksdose da drüben.«
    Lisa stand in der Tür und ließ ihren Blick durchs Lehrerzimmer schweifen. Sie trug bereits einen Stapel überquellender Kartons im Arm. Kahlhorst hatte seine Habseligkeiten recht gleichmäßig über die Schränke verteilt.
    »Solltest du ihm nicht sagen, dass du gehst?«, fragte Lisa.
    Irgendwo zwischen der Feuerwehr und den Häusertrümmern und seinem Entschluss, St. Isaac zu verlassen, hatte sich zwischen Kahlhorst und Lisa das Du eingeschlichen. Obwohl Lisa Kahlhorsts Vornamen noch immer nicht wusste.
    »Er hat eine Konferenz«, sagte Kahlhorst. »Ich sollte
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