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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul
Autoren: Annegret Heinold
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meinem Auto. Clara bietet an zu fahren, wenigstens die Hinfahrt, aber ich sage, nein, ich glaube, es geht jetzt, ich glaube, ich kann fahren. Und in der Tat, es geht sogar sehr gut. Erst die A 25, dann die A 1 in Richtung Norden. Und dann sind wir auch schon in Porto und kurz darauf am Flughafen.
    Am Flughafen parke ich und wir laden Claras Gepäck aus.
    „Hast du auch alles“, frage ich. „Ticket, Pass, Visakarte?“
    „Ja“, sagt Clara. „Und Bonbons und Zeitschriften kaufe ich am Flughafen. Und Orangensaft bekomme ich im Flugzeug, okay?“
    Okay, Clara, okay. Es ist ja nur, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Plötzlich hören wir ein Saxophon.
    Ich kenne die Melodie, ich kann sie nur im Moment nicht einordnen. Aber den Saxophonspieler, den erkenne ich natürlich sofort. Es ist Rui. Er steht auf dem Parkplatz und spielt.
    Clara geht hin. Ich bleibe lieber an meinem Auto stehen. Clara geht zu Rui und bleibt vor ihm stehen. Rui spielt weiter, den ganzen Song. Ich glaube, es ist ein Stück von Nat King Cole, mir fällt nur der Titel nicht ein. Aber das kommt noch, das kommt noch.
    Als das Lied zu Ende ist, setzt Rui das Saxophon ab und die beiden reden. Ich kann nicht hören, was sie sagen, dazu sind sie zu weit weg. Ich frage mich, ob Clara sich noch anders entscheiden wird? Ob sie auf Tango und Milonga und Buenos Aires verzichten wird, um mit Rui zusammenzuziehen. Was sie ja immer wollte. Was sie ja sechs Jahre lang wollte. Und jetzt, wo sie es kriegen kann, da nimmt sie es nicht.
    Jetzt nimmt Rui Clara in den Arm, und wenn ich es richtig sehen kann von hier aus, dann küssen sie sich jetzt. Na bitte.
    Dann löst sich Clara wieder aus Ruis Armen und Rui nimmt sein Saxophon und steigt in sein Auto. Und fährt ab.
     
    Ich nehme das Gepäck und gehe zu Clara. Wir gehen in den Flughafen. Clara checkt ein. Wir umarmen uns. Das ist der Abschied. Und da fällt mir doch plötzlich dieser Titel ein, der Titel von dem Nat-King-Cole-Song, den Rui auf seinem Saxophon gespielt hat.
    „Jetzt weiß ich, wie dieser Song heißt“, sage ich zu Clara. „Und ich weiß auch, wie der Text geht.“
    „Sag´s lieber nicht“, sagt Clara.
    Aha – sie kennt den Song also auch.
    „ The greatest thing you will ever learn is just to love and be loved in return ”, sage ich.
    „Vielleicht lerne ich es ja in Argentinien“, sagt Clara. „Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.“
    „Tschüß Clara“, sage ich.
    „Hier für dich“, sagt Clara und drückt mir ein Buch in die Hand. „Gerade erschienen.“
    Dann umarmen wir uns noch mal und dann muss Clara aber wirklich los, weil sie ihren Flug zum dritten Mal aufrufen. Und weg ist Clara aus meinem Leben. Jedenfalls für eine ganze Weile.
     
    Ich treibe mich noch ein Weilchen auf dem Flughafen rum. Es gibt ja viele Leute, die Flughäfen hassen. Und die den Aufenthalt dort schrecklich finden. Und über jede Wartezeit stöhnen. Aber mir gefällt es irgendwie. Man fühlt sich wie auf einer Drehscheibe. Die ganze Welt steht einem offen. Zumindest auf der Anzeigentafel und theoretisch.
    Ich setze mich auf einen Stuhl und beobachte die Anzeigentafel. Flüge nach Amsterdam und London, nach Paris und Madrid. Und dort sind auch wieder Drehscheiben und man kann von da aus weiterfliegen. Von Amsterdam nach Hongkong, von Paris aus nach Bangkok. Von London aus nach Vancouver.
    Ich habe meinen Pass bei mir und meine Visakarte, einfach weil ich ohne Pass und Visakarte nicht aus dem Haus gehe. Vielleicht wegen Gelegenheiten wie dieser hier.
    Ich könnte jetzt so einen Abgang machen, so einen Abgang, wie er in den romantischen Komödien ja geradezu obligatorisch ist. Die Frau sitzt auf dem Flughafen und plötzlich rennt sie los, womöglich noch im Brautkleid, das sie für einen anderen anhat, und muss sofort irgendein Flugzeug nach irgendwohin kriegen. Denn da ist ihr Liebster und das wird ihr erst jetzt klar. Dass sie den will. Und nicht den andern.
    Ich könnte also meine Visakarte nehmen und meinen Pass vorzeigen, und über London oder Paris oder Amsterdam nach Vancouver fliegen.
    Ich sehe noch eine ganze Weile den Leuten zu. Auf eine gewisse Art und Weise beneide ich sie, weil sie so geschäftig aussehen. Sie haben alle ein Ziel. Sie wissen, wo sie hinwollen.
    Eine Familie geht über den Flughafen. Mama, Papa, zwei Kinder. Mana fliegt weg, Papa bleibt mit den beiden Kindern zurück. Sie winken sich noch lange zu. Ein junges Paar geht Hand in Hand zum Schalter. Sie checken
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