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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Farris Smith
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erinnerte sich daran, wie ihm die Zähne geklappert hatten, als er in dem klaren, frischen Wasser spielte. Genauso heftig klapperten ihm nun die Zähne, als er völlig unterkühlt und verwundet dasaß. Der Regen fiel herab, das Echo der Donnerschläge war zu hören, und er schaute in den Schatten hinter dem zerstörten Altar, und dort sah er sie. Etwas trübes Graues, aber er sah sie, so wie nur er sie sehen konnte, mit unklaren, geisterhaften Umrissen, weil ihr klares Gesicht und ihre Gestalt schon langsam verblichen, auch wenn sie das Einzige war, das ihm in seiner Einsamkeit geblieben war. Er schaute zu, wie sie sich bewegte, wie sie von der Kanzel herabstieg und durch den Mittelgang auf ihn zuging. Sie blieb stehen und wartete, dass er etwas sagte.
    Er streckte die Hand aus.
    Er zitterte und atmete tief ein, damit das Zittern aufhörte, aber er konnte es nicht verhindern. Sie schwebte vor ihm, als würde sie auf etwas warten. Er schloss die Augen, und nun wurden ihre Umrisse deutlicher. Jetzt lag sie neben ihm, den Kopf auf seinem Schoß, eine Hand auf dem gewölbten Bauch. Auf dem Asphalt des Highway 49, unter einem riesigen Truck. Um sie herum die Schreie der Flüchtenden, die bemerkt hatten, was da auf sie zukam. Eine ganze Handvoll Tornados, die aus den schwarzen Wolken hervorbrachen wie monströse Schlangen, die aus dem Himmel nach unten stießen und sich auf Hunderte oder womöglich Tausende von Autos zubewegten, die dort im Stau standen, denn alle hatten nur das getan, was man ihnen geraten hatte. Haut ab! Macht euch davon! Verzichtet darauf, eure Sachen zu packen. Zögert nicht. Nehmt eure Familie, steigt in euer Auto, und fahrt so schnell ihr könnt. Und genau das hatten sie alle getan. Wie sie es schon so oft in den letzten Jahren getan hatten, aber diesmal hatten sie nicht genügend Vorsprung. Kein Zeitfenster. Noch nicht angekommen, mussten sie schon wieder weg. Und die Tornados brachen aus den schwarzen Wolken, tosten auf sie zu und überfielen mit ganzer Wucht die Menschen, Autos und Trucks. Körper aus Fleisch und Metall wurden hochgehoben und durch die Luft katapultiert.
    Als Cohen und Elisa zwischen den Autoreihen hindurchrannten, fiel sie hin, und als er sie hochhob, ragte etwas Glänzendes aus ihrem Hinterkopf, und ihre Augen starrten ihn an, als hätte sie gerade einen Blick in eine andere Welt geworfen. Elisa, Elisa, rief er aus, aber sie antwortete nicht. Ihr Körper wurde schlaff. Er hob sie hoch, trug sie weiter, kroch mit ihr unter den großen Lastwagen, wo er dann ihren Kopf auf seinen Schoß bettete, während sich eine Blutpfütze unter ihnen sammelte. Die ganze Zeit über blieben ihre Augen geöffnet, und er legte ihr die Hand auf den Bauch, der so rund war wie ein Volleyball. Er konnte nichts weiter tun, als laut gegen das Chaos der Welt anzubrüllen. Cohen kniete da, ihr Kopf lag auf seinen Oberschenkeln, und der Laster über ihnen wackelte hin und her, und er konnte nichts tun, konnte sie nur festhalten und ansehen und ihre Augen betrachten, die sich nicht mehr schlossen. Ihre verlorenen, ratlosen Augen. Als würden die Toten auch nicht mehr verstehen als die Lebenden. Das Leben strömte aus ihr, und Cohen legte das Gesicht auf ihren Bauch und sprach mit dem Baby, erzählte ihm Dinge, an die er sich jetzt nicht mehr erinnerte. Er sprach zu ihr, damit sie hören konnte, dass sie nicht allein war angesichts des Schreckens, der nun auf sie zukam. Seine blutigen Hände lagen auf Elisas Bauch, er presste seinen Mund darauf, und drinnen war sein Kind, und er redete ihm zu, damit es wusste, dass da jemand war, der es liebte. Der Laster schwankte, hielt aber stand, und die Tornados wanderten weiter, zerstreuten sich in andere Richtungen. Übrig blieb ein blaugrauer leerer Himmel, und es gab nichts mehr zu tun. Gar nichts.
    Er schlug die Augen auf, und seine klare Vision verschwand. Übrig blieb nur ihr undeutliches Bild, und dann verging es wie eine Wolke aus Rauch. Und wieder fragte er sich, so wie er es immer tat, ob er sich von Elisa überhaupt verabschiedet hatte.
    Seine Lippen waren ausgetrocknet, und er fuhr mit der Zunge darüber. Er war sehr durstig, aber er musste noch abwarten. Er setzte sich bequemer hin und überlegte, wie weit es wohl noch bis zu seinem Haus war, aber seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Im Moment war er sich nicht mal sicher, was die Richtung betraf. Der Regen fiel, und der Wind wurde stärker. Etwas ziemlich Übles braute sich zusammen. Er streckte sich auf
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