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Motiv Angst

Motiv Angst

Titel: Motiv Angst
Autoren: Antje Szillat
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doch wenn nun die anderen Typen dazukämen, würde die Sache schon wieder ganz anders für Jan aussehen, so fürchtete er. Victor war seinem Blick gefolgt und reagierte schon wieder so, wie Jan es absolut nicht vermutet hätte.
    â€žKomm, lass uns hier abhauen“, forderte er Jan auf und trabte los. Und Jan lief ihm einfach hinterher. Nach ungefähr 100 Metern hatten sie einen alten Kiosk erreicht, an dessen Rückseite sich ein größeres Gebüsch befand. Nur ein schmaler Gang lag dazwischen, der von vorne nicht einsehbar war. Victor lehnte sich an die Wand, von der die Farbe abblätterte, und schien ungeheuer weit weg zu sein. Jan stellte sich neben ihn, lehnte sich ebenfalls an die Wand und starrte wie er vor sich hin. Sie schwiegen. Und als Jan das Gefühl hatte, dieses Schweigen und die ungeheure Anspannung, die er bis in den kleinsten Muskel seines Körpers spürte, nicht mehr aushalten zu können, räusperte sich Victor heftig, so als wollte er einen dicken Klumpen im Hals wegräuspern, und sagte mit rauer Stimme: „Mein Alter ist ´ne Drecksau!“ Jan wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Also schwieg er. „Er ist weg“, sagte Victor nach einer Weile.
    â€žWer?“ Jan schaute ihn von der Seite an. „Wer ist weg?“
    â€žDie Drecksau!“
    â€žMeinst du damit deinen Vater?“
    â€žIch meine damit die versoffene Drecksau!“ Eiskalt klangen seine Worte und scharf wie Rasierklingen.
    â€žDie Bullen haben ihn abgeholt und wenn der jemals wieder auch nur einen Schritt in unsere Wohnung wagt, dann mach ich ihn kalt.“
    Doch neben dem ganzen Hass und der Wut lag da noch etwas anderes in Victors Stimme. Da war Angst. Ganz eindeutig Angst. Victor hatte Angst. Vor seinem versoffenen Vater.
    â€žDas sieht echt böse aus. Hat er dich so zugerichtet?“
    Victor stöhnte auf. „Du solltest mal meine Mutter sehen.“
    Wieder Schweigen. Die ganze Situation kam Jan irgendwie unwirklich vor. Da stand er nun hinter einem dreckigen Kiosk, mit dem Typen, auf dessen Prügelliste er stand und den er wie nichts anderes auf der Welt fürchtete, und hatte unglaubliches Mitleid mit ihm. Und dieser fiese Typ, der Kinder zwang Nacktschnecken zu essen, sie bedrohte, verprügelte, erpresste und es sogar fertigbrachte, dass sie seinetwegen die Schule wechselten, hatte panische Angst vor seinem Vater.
    â€žPass auf ... ey, dieses Gespräch, das bleibt aber voll unter uns. Ist das klar, ey!“ Da war er wieder, der miese, drohende Unterton in seiner Stimme. Jan zeigte ein leeres Gesicht, atmete flach und spielte cool.
    â€žBist du deshalb so fies zu den anderen? Machst du deshalb alle so fertig, weil du selbst zu Hause Prügel bekommst?“
    Victor antwortete nicht gleich. Er guckte Jan nur an. Auf eine Art und Weise, dass ihm sein Coolspielen auf der Stelle verging.
    â€žDu hast Recht. Warum soll nur immer ich Dresche bekommen“, sagte er nach einer Weile und lehnte sich mit dem Rücken wieder an die schäbige Kioskwand an.
    â€žWeißt du eigentlich, wie das ist, wenn du in so einem Dreckloch aufwachsen musst?“, sprach Victor weiter.
    Jan schüttelte den Kopf.
    â€žJeder Tag ist der pure Überlebenskampf. Wenn ich nicht den Ton angebe, dann machen es die anderen. Nee, Alter, da halte ich es lieber so wie die Drecksau, lieber austeilen, anstatt einstecken.“ Jan fiel absolut nichts ein, was er darauf erwidern sollte.
    â€žDeine Alten haben Kohle, du kommst aus ´ner reichen Arschlochgegend und bekommst garantiert nicht täglich von deinen Alten was auf die Fresse. Oder?“ Jan nickte unbehaglich. Dieser jämmerliche Unterton in Victors Stimme verursachte bei ihm seltsamerweise genauso viel Angst wie früher seine Drohungen. Der schüttet doch nicht bei mir sein Herz aus, fängt womöglich gleich noch an zu heulen und lässt mich dann einfach so gehen – so, als ob überhaupt nichts geschehen wäre. Im Leben nicht, da war sich Jan ganz sicher.
    Als ob Victor Jans Gedanken erraten hätte, glotzte er ihn nachdenklich aus seinem nicht zugeschwollenen Auge an.
    â€žWas willst du hier?“ Seine Stimme klang wieder knallhart. „Erzähl!“, sagte er noch mal mit Nachdruck und Jan begann zu erzählen.
    Gewalt tut Menschen weh. Aber wenn ich richtig wütend werde, dann kann ich einfach nicht anders. Dann haben sie mich in ein Anti-Gewalt-Programm
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