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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Autoren: Anne Perry
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aussah. Es war mehr als die auf ihrem Gesicht liegende Vorfreude oder die Wärme in ihrem Blick. Die Reife hatte ihre Schönheit erst richtig zur Entfaltung gebracht; es stand ihr gut zu Gesicht. Mit ihren knapp vierzig Jahren legte sie eine Selbstsicherheit an den Tag, die ihr in jüngeren Jahren nicht zu Gebote gestanden hatte, und das verlieh ihr eine Anmut, die tiefer reichte als das, was äußerliche Verschönerung des Gesichts zu erreichen vermochte.
    »Ich habe dir alles herausgelegt«, sagte sie und erwiderte seinen Blick. »Ein wenig zu spät zu kommen im Rahmen der gesellschaftlichen Konvention ist eine Sache, aber es ist etwas gänzlich anderes, wenn man den Eindruck erweckt, man habe den Weg nicht gefunden oder die Uhrzeit auf der Einladung falsch gelesen.«
    Er lächelte, ohne sich die Mühe einer Antwort zu machen. Er verstand ihre Unruhe. Schließlich musste er noch damit zurechtkommen, dass er sich unversehens erneut in einer gesellschaftlichen Position befand, in die er nicht hineingeboren worden war. Sie unterschied sich deutlich von der des hochrangigen Polizeibeamten, der er früher gewesen war, denn selbst in jener Position war er letzten Endes anderen Rechenschaft schuldig gewesen. Als Leiter des Staatsschutzes hingegen war er, außer in ganz besonderen Fällen, sein eigener Herr, der Macht, Wissen und Verantwortung mit niemandem zu teilen brauchte.
    Noch deutlicher kam ihm die geänderte Situation zu Bewusstsein, als er aus der Droschke stieg und Charlotte hinaushalf. Die eisig kalte Nachtluft biss ihnen ins Gesicht. Auf der Straße glänzte Eis, und er bemühte sich bewusst, nicht auszugleiten, während er Charlotte zum Gehsteig führte. Ein Stück weiter vorn hielt eine vierspännige Kutsche an. Ein livrierter Lakai sprang vom Trittbrett hinter dem Wagenkasten, um den mit einem Wappen verzierten Schlag zu öffnen. Der Atem der Pferde dampfte, und die Messingbeschläge ihres Geschirrs blitzten im Lichtschein auf, während sie sich bewegten.
    Eine weitere Kutsche kam vorüber. Laut hörte man die Hufeisen der Pferde auf dem Straßenpflaster.
    Charlotte fasste Pitts Arm fester. Sie fürchtete nicht etwa, auszugleiten, sondern wollte sich seiner vergewissern, bevor sie eintraten. Er lächelte im Dunkeln und legte seine freie Hand einen Augenblick lang auf die ihre.
    Die großen Türflügel öffneten sich vor ihnen. Pitt gab einem livrierten Diener seine Karte, worauf dieser ihn und Charlotte in den großen Saal führte, wo der Empfang bereits begonnen hatte.
    Es war ein herrlicher Raum, den zur bemalten Decke emporstrebende Säulen und Mauerpfeiler zu beiden Seiten noch höher erscheinen ließen. Vier schwere, strahlend helle Kronleuchter hingen an Ketten von ihr herab, von denen man hätte glauben können, sie bestünden aus Gold, was natürlich nicht der Fall war.
    »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, flüsterte Pitt Charlotte zu.
    Sie wandte sich ihm mit beunruhigt geweiteten Augen zu, sah dann aber, dass er sie lediglich hatte necken wollen. Er war erkennbar nervös, zugleich aber auch stolz darauf, dass sie diesmal dort war, weil man ihn eingeladen hatte und nicht wie sonst ihre Schwester Emily oder ihre angeheiratete Großtante Lady Vespasia Cumming-Gould. Auch wenn es nicht viel war, was er ihr auf diese Weise nach all den Jahren des Lebens in bescheidenen Verhältnissen bieten konnte, freute er sich darüber.
    Charlotte lächelte und hielt den Kopf ein wenig höher, bevor sie die Stufen hinabschritt, um sich zu den anderen zu gesellen. Nach wenigen Augenblicken waren sie von einem Wirbel aus Farben und Stimmen, gedämpftem Lachen und leisem Gläserklirren umgeben.
    Die höflichen Gespräche drehten sich überwiegend um Belanglosigkeiten. Dabei ging es in erster Linie darum, den jeweils anderen unauffällig einzuschätzen. Während sich Charlotte erst mit der einen und dann einer anderen Gruppe von Gästen unterhielt, schien sie völlig in ihrem Element zu sein. Bewundernd sah Pitt, wie sie jedem zulächelte, sich interessiert gab und unaufdringlich wirkende Komplimente machte. Das gelang ihr mit einer Selbstverständlichkeit, die nachzuahmen er noch nicht wagte. Er fürchtete, dann wie jemand zu wirken, der den Versuch unternahm, sich etwas anzumaßen, was ihm nicht zustand, und das würde man ihm mit Sicherheit nie verzeihen.
    Ein Staatssekretär, dessen Namen ihm entfallen war, sprach beiläufig mit ihm, und er hörte ihm zu, als interessiere ihn, was der Mann zu sagen
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