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Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Titel: Mord im Herbst: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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interessiert, Sachbücher und historische Romane. Und ich glaube, er hegt eine alte Liebe für die Bücher über Sherlock Holmes.
     
    Manche Menschen glauben, das, was ich jetzt erzählen werde, habe nichts mit der Wahrheit zu tun. Aber das hat es. Es ist kein Mythos. Es ist wirklich passiert:
    Vor ungefähr fünfzehn Jahren fing ich an, wieder ein Buch zu schreiben, in dem Wallander die Hauptrolle spielen sollte. Ich schrieb etwa hundert Seiten – das ist die Grenze, ab der ich ernsthaft anfange daran zu glauben, dass es ein Buch werden wird. Aber das wurde es nicht. Nach ein paar weiteren Seiten hörte ich auf und verbrannte – buchstäblich – alles, was ich ausgedruckt hatte. Außerdem löschte ich die Datei, und als ich kurze Zeit später den Computer auswechselte, zerstörte ich die alte Festplatte. Ich glaube behaupten zu können, dass es keinerlei Einsen und Nullen mehr gibt, die sich verwenden ließen, um die hundert Seiten wiederherzustellen.
    Ich schrieb den Roman nie zu Ende, weil er mir zu grausam war. Ich brachte es nicht über mich. Er sollte von Kindesmissbrauch handeln. Heute sehe ich natürlich ein, dass ich ihn hätte schreiben sollen. Kindesmissbrauch ist eines der schlimmsten Verbrechen in der heutigen Welt. Schweden bildet da keine Ausnahme. Aber zu dem Zeitpunkt wurde es mir zu viel. Ich konnte es einfach nicht.
    Ich kann verstehen, wenn es Leute gibt, die das nicht glauben können. Schließlich habe ich in meinen Büchern Dinge beschrieben, die ebenfalls grauenhaft zu nennen sind. Ich kann dazu nur sagen, dass viele Seiten mir schwer zu schaffen machten, als ich sie zu Papier brachte. Aber ich weiß auch, dass das, was im täglichen Leben passiert, immer schlimmer ist, als das, was ich beschreibe. Meine Fantasie kann die Wirklichkeit niemals übertreffen. Deshalb muss ich manchmal über furchtbare Dinge schreiben, um meine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.
     
    Nach Die weiße Löwin wusste ich, dass das Phänomen Wallander tatsächlich ein nützliches Instrument war. Im selben Moment wurde mir aber auch klar, dass ich mich vor dem Charakter, den ich geschaffen hatte, in Acht nehmen musste. Von jetzt an bestand immer die Gefahr, dass ich vergaß, mit dem ganzen Orchester zu spielen, und ihn einsam ins Horn stoßen ließ. Für mich war immer wichtig: Zuerst kommt die Geschichte. Immer. Und dann musste ich schauen, ob Wallander ein gutes Instrument für ebendiese Geschichte war oder nicht.
    Regelmäßig sagte ich mir: Jetzt mache ich etwas anderes. Ich schrieb Bücher, in denen er nicht vorkam, Romane, die nicht von Verbrechen handelten, Theaterstücke. Anschließend konnte ich zu ihm zurückkehren, ihn wieder loslassen, etwas anderes schreiben, ihn wieder verwenden.
    Immer hatte ich eine warnende Stimme in mir. »Du musst rechtzeitig aufhören.« Mir war das Risiko bewusst, dass ich mich eines Tages fragen könnte: »Was soll ich mir jetzt für ihn ausdenken?« Dass er und nicht die Geschichte an die erste Stelle träte. Dann wäre es an der Zeit gewesen, aufzuhören. Ich glaube, dass ich heute mit Recht sagen kann, dass dies nie passiert ist, dass Wallander nie wichtiger wurde als die Geschichte selbst. Wallander ist nie zu einer Belastung geworden.
    Doch es gab auch noch ein anderes Warnsignal, das in mir tickte: Ich durfte beim Schreiben nicht in Routine verfallen. Wenn das geschähe, würde ich in eine gefährliche Klemme geraten. Es würde bedeuten, sowohl den Lesern als auch mir selbst zu wenig Respekt zu erweisen. Die Leser würden teures Geld für ein Buch bezahlen, nur um festzustellen, dass der Autor müde geworden war und im Leerlauf schrieb. Und für mich selbst hätte sich meine Autorschaft in etwas verwandelt, das mich nicht mehr erfüllte.
    Deshalb habe ich aufgehört, als es noch Spaß machte. Der Entschluss, das letzte Buch zu schreiben, zog sich hin. Es dauerte ein paar Jahre, bis ich bereit war, den letzten Punkt zu setzen. Den setzte übrigens meine Frau Eva. Ich hatte das letzte Wort geschrieben und bat sie, die Taste mit dem Punkt zu drücken. Das tat sie. Und damit war das Märchen zu Ende.
     
    Und jetzt? Da ich mit ganz anderen Büchern arbeite? Ich werde oft gefragt, ob er mir fehle. Dann antworte ich so, wie es ist: »Er sollte nicht mir fehlen, sondern dem Leser.«
     
    Ich denke nie an Wallander. Für mich ist er jemand, der in meinem Kopf existiert. Die drei Schauspieler, die ihn in Film und Fernsehen gespielt haben, haben in großartiger Weise ihre ganz
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