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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer
Autoren: L Keil
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tatsächlich angenommen. Zupke ist überrascht, dominiert doch die PDS den Bezirk. Umgesetzt wird der Beschluss allerdings nicht, weshalb es in der Heimatstadt des Opfers keine Peter-Fechter-Straße gibt – im Gegensatz etwa zu Trittau in Schleswig-Holstein, Püttlingen im Saarland, dem bayerischen Sulzbach-Rosenberg oder Warstein in Nordrhein-Westfalen; entlang der Leine ist in Hannover 1983 ein Radweg in Peter-Fechter- Ufer umbenannt worden.
    Derweil verzögert sich das Verfahren gegen die beiden mutmaßlichen Todesschützen, obwohl dem Landgericht die Anklageschrift schon seit mehr als sieben Monaten vorliegt. Allerdings hat der Zeitverzug einen überraschenden Nebeneffekt: Der verloren geglaubte Obduktionsbericht taucht wieder auf. »Im Rahmen anderweitiger Vorermittlungen in der Gerichtsmedizin der Charité«, schreibt die Staatsanwaltschaft, seien »unverhofft diverse Sektionsprotokolle aus den Jahren 1961 und 1962« gefunden worden, »die von der Vernichtung seinerzeit ausgenommen gewesen sein müssen und deren Existenz den jetzigen Mitarbeitern des Instituts teilweise nicht bekannt war«. Darunter befindet sich auch ein Durchschlag zum Fall Peter Fechter. Die Prüfung ergibt, dass sich der bisher als sachverständiger Zeuge gehörte Otto Prokop beeindruckend genau erinnert hat. Am Befund, dass der Schuss zu einer tödlichen Verletzung geführt hat und Fechter auch durch sofortige Erste Hilfe nicht hätte gerettet werden können, ändert sich nichts. Damit ist die letzte große Unsicherheit für den Prozess geklärt: Mit Rolf Friedrich und Erich Schreiber sitzen die Richtigen auf der Anklagebank.
    Das Landgericht Berlin eröffnet am 3. März 1997 die Hauptverhandlung gegen die beiden Täter. Als Nebenklägerin tritt Ruth Fechter auf, der es nicht um »Bestrafung um der Bestrafung willen« geht, wie ihr Anwalt erklärt, nicht um »kleinliche Rachebedürfnisse« oder um die »bloße Verstärkung« des Strafanspruchs des Staates. Sie hat vielmehr »das Bedürfnis, nach 35 Jahren endlich aus der bis dahin bestehenden Objektrolle bei der Aufklärung und Aufarbeitung der Geschehnisse als Hinterbliebene und Betroffene, der Verdammung zu Untätigkeit und Abwarten herauszukommen und wenigstens in einem solchen Verfahren die Möglichkeit der umfassenden Beteiligung zu besitzen«. Die beiden Schwestern haben miteinander besprochen, ob sie sich am Verfahren beteiligen sollen: Ruth Fechter ist dafür, weil sie vom Prozess einen Abschluss erhofft. Gisela Geue zeigt sich eher skeptisch, denn sie befürchtet, das Verfahren werde all das Leid wieder aufwirbeln. Schließlich einigen sich die beiden, dass die jüngere Schwester als Nebenklägerin auftritt. Andere Verwandte sehen darin eine gute Lösung; ein Neffe von Peter Fechter stellt eine Art »Seelenhygiene« in der formellen Teilnahme der Familie fest: »Wenn man so bedrängt und gepeinigt worden ist, wächst nicht nur das Bedürfnis, sich zu reinigen, sondern auch so etwas wie Genugtuung zu spüren.«
    Doch die Mauerschützenprozesse der vorangegangenen Jahre haben die Öffentlichkeit ermüdet. Zwar kommt ein Dutzend Journalisten ins Kriminalgericht Moabit, jedoch nur rund zwanzig weitere Interessierte. Auch Wolf-Dieter Zupke ist dabei und findet sich zwischen alten SED-Genossen wieder, die demonstrativ das Neue Deutschland lesen, die Demokratie verhöhnen, offen Sympathie für die Angeklagten zeigen und sich über ihre Westreisen seit dem Mauerfall austauschen. Zupke hält das nicht aus und verlässt vorzeitig den Saal. Auch der Gerichtsreporter der Berliner Morgenpost ist irritiert. »Wie eine Mauer verläuft die Grenze zwischen den wenigen Zuschauern. Hier die Altkommunisten, für die das Verfahren gegen die beiden Grenzer ein Fall von ›Siegerjustiz‹ ist. Auf der anderen Seite die West-Berliner, die Sühne erhoffen für den ›Mauermord‹, der sie seinerzeit so stark erschüttert hat.« Eine schwierige Aufgabe für das Gericht. Einen Vorwurf jedoch muss sich die Berliner Justiz nicht machen lassen: Zehn Monate nach dem Schuldspruch gegen sechs Befehlshaber der DDR-Grenztruppen und während noch das Verfahren gegen mehrere Mitglieder der SED-Politbüros läuft, kann niemand mehr behaupten, die »kleinen« Schützen würden bestraft, während die »großen« Auftraggeber ungeschoren davonkämen.
    Vor Gericht wirken die Angeklagten nicht überzeugend. Rolf Friedrich ist so nervös, dass sein Verteidiger dessen Stellungnahme verlesen muss. Sie entspricht weitgehend
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