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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
Autoren: Karin Jaeckel
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hätte ihn nicht so lieb wie die Schwester, und reagierte mit einem ständigen Wechsel von besonderer Verschmustheit und extremer Ungezogenheit.
    Das zu beobachten tat mir weh und brachte Erinnerungen an meine eigene Mutter hoch, die uns Kinder auch nie in den Arm genommen hatte.
    Ich bin dieser Frau dann aus dem Weg gegangen. Ich hatte keine Lust, mich durch ihre Geschichte zum Nachdenken über meine Mutter zwingen zu lassen. Doch mir wurde damals zum ersten Mal klar, warum ich tatsächlich ein Wunschkind gewesen sein könnte.
    Aber vielleicht sollte ich etwas weiter ausholen und der Reihe nach erzählen. Ich will mit der Zeit beginnen, die ich nur vom Hörensagen, von Fotos und aus zusammengeklaubten Bruchstücken meiner eigenen Erinnerung kenne.
    Wir sind im »Kohlenpott« zu Hause. Wuppertal, Essen und die Ortschaften in ihrer Umgebung sind die Städte meiner Kinderzeit.
    Mein Vater ist das vierte und jüngste Kind einer ordentlichen, gut beleumundeten und beliebten Familie, die seit Generationen in meinem Heimatort ansässig ist. Seine Mutter hatte in ihrer Jugend einen gewissen Wohlstand genossen, und das Haus ihrer Eltern wurde später zu gleichen Teilen ihr und ihrem Bruder vererbt. Dieser zahlte ihr das Erbteil aus und übernahm das ganze Haus. Meine Großeltern wohnten jedoch als Mieter zusammen mit ihm und seiner Familie darin.
    Mein Vater war ein echtes Nesthäkchen, ein Nachzügler eben. Seine Geschwister waren bis zu 15 Jahre älter als er. Vor allem die Schwestern wetteiferten darin, welche von ihnen mit ihm spielen oder ihn ausfahren durfte. Mein Vater war wie eine lebendige Puppe für sie – nur viel, viel toller. Und meiner Oma, die mit ihrem großen Haushalt alle Hände voll zu tun hatte, war es natürlich recht, dass die Mädchen ihr das Baby abnahmen.
    Mein Vater wurde verwöhnt, verhätschelt, vergöttert. Fehler gab es an ihm nicht, und lief einmal etwas schief, wurde es ohne großes Theater wieder ausgebügelt. Er war einfach der Größte. Was er wollte, war Gesetz. Und wenn jemand nicht wollte wie er, hieß das für ihn sofort: »Du hast mich nicht lieb!« Damit kam er immer durch.
    Oma Grete, seine Mutter, schien wie seine beiden Schwestern nur dazu da, meinen Vater zu bedienen und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Zum Beispiel erhielt er als einziges Kind der Familie ein eigenes Zimmer. Dafür hausten die Geschwister zu dritt in einem. Auch später noch, als sein großer Bruder schon aus dem Haus war und seine ältere Schwester sehr viel nötiger ein bisschen Freiraum gebraucht hätte, behielt mein Vater das Privileg des eigenen Zimmers.
    Es gibt viele weitere Beispiele. Meine Großeltern hatten ihr Auskommen, aber sie waren nicht reich. Damit es meinem Vater an nichts mangelte, sparte sich der Rest der Familie jeden Bissen vom Munde ab. Keiner hatte je ein Fahrrad besessen – mein Vater bekam eines. Von Urlaub durften die anderen nur träumen – mein Vater verreiste in den Ferien.
    Für ihn war das Beste gerade gut genug. Und er nahm es an, als stünde es ihm zu. Alles für ihn zu tun hieß in seinen Augen Liebe. Ich weiß nicht, wie oft er zu mir gesagt hat: »Was heißt: Ich will nicht? Ich denke, du liebst mich? Wenn man jemanden liebt, tut man alles für ihn – alles! Kapiert?«
    Vor allem von seiner acht Jahre älteren Schwester Inge, meiner Lieblingstante, ließ mein Vater sich als Kind und auch noch als Mann nach Herzenslust verwöhnen. Sie war eine Art Ersatzmutter für ihn. Ein anspruchsvolles Bürschchen wie er brauchte rund um die Uhr seine Lakaien, seine Streicheleinheiten und geduldigen Zuhörerinnen.
    »Mein Ziehkind« nannte meine Tante ihren Lieblingsbruder. Heute glaube ich, sie hat ihn nicht er-, sondern hoffnungslos verzogen. Aber sie war ja auch nicht die Mutter. Sie war ja selbst noch ein halbes Kind und wusste es wohl nicht besser.
    Trotz der Affenliebe, die er zu Hause erfuhr, war mein Vater in seiner Jugend wohl ein richtig feiner Kerl, mit dem man Pferde stehlen konnte. Er war beliebt, hatte viele Freunde. Die Schule bereitete ihm wenig Kopfzerbrechen, die Lehre als Starkstromelektriker auch nicht. Er war gut in seinem Beruf, hatte Ehrgeiz. Ein prima Kerl eben. Als meine Mutter ihn kennen lernte und er sich in sie verliebte, hätte so manches Mädchen gern mit ihr getauscht.
    Meine Mutter Lena ist ein paar Monate älter als mein Vater. Heute ist sie so korpulent, dass man nicht mehr erkennen kann, wo der Busen aufhört und der Bauch anfängt.
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