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Mittsommerzauber

Mittsommerzauber

Titel: Mittsommerzauber
Autoren: Inga Lindström
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Theke und griff zum Telefon, das neben der Registrierkasse stand. »Ich rufe diesen Gustav sofort an.«
    »Das wird nichts. Er hat kein Telefon.«
    Eva ließ den Hörer sinken und schaute perplex auf. »Das ist nicht dein Ernst. Ein Mensch ohne Telefon? Gibt’s so was heute wirklich noch? Ich fasse es nicht! Leben wir denn im Mittelalter?«
    »Er ist eben gerne für sich«, sagte Malin.
    »Na schön. Dann erklär mir, wo er wohnt.«

    *

    Die Rapsfelder links und rechts der Straße waren noch nicht voll erblüht, doch die jungen Triebe bildeten bereits einen zarten, aber weithin sichtbaren gelben Schleier. Der Sommer war noch nicht da, aber der Wind brachte bereits einen Hauch davon mit sich. Es war warm genug, um ohne Jacke zu fahren.
    Eva atmete tief ein und aus und genoss den leichten Wind, der ihr das Haar zerzauste und ihre Bluse zum Flattern brachte. Ihre helle Steghose hatte eine Ölspur vorn am Knie, und ihre Frisur hatte sich vermutlich längst in Wohlgefallen aufgelöst. Für diese Exkursion war sie nicht unbedingt passend angezogen, aber das war ihr egal. Vielleicht war dieser Gustav jemand, der keinen Wert auf Äußerlichkeiten legte und der sich nicht darum scherte, ob seine Geschäftspartner mit dem Rad oder einer Limousine vorgefahren kamen. Jedenfalls hoffte sie das. Sie war wild entschlossen, das Wollproblem heute noch zu lösen.
    Als sie um die nächste Biegung fuhr, lag der Hof vor ihr. Es musste der von Gustav sein, denn weit und breit war kein anderes Anwesen zu sehen. Eva reckte den Hals. Ja, dort drüben war der Pferch mit den Schafen, den Malin ihr beschrieben hatte, und in der Einfahrt stand der Pickup, von dem sie ebenfalls gesprochen hatte.
    Eva stieg neben dem Wagen vom Rad und schaute sich um. Es war ziemlich einsam hier draußen, das ja. Aber wie das Heim eines Sonderlings sah es auch nicht unbedingt aus.
    Das Haupthaus war nicht allzu groß, aber es machte einen gepflegten Eindruck mit seinem frischen roten Anstrich und den blanken Fensterscheiben. Zwei Nebengebäude rahmten das Wohnhaus ein, vermutlich Ställe oder Geräteschuppen, und beide ließen keinerlei Anzeichen von Verwahrlosung erkennen. Die Kieswege, die vom Wohnhaus zu den Nebengebäuden führten, waren sauber geharkt. Auch die kleinen Gemüsebeete unweit des Hauses sahen aus, als würde sich regelmäßig jemand darum kümmern. Der Wagen war zwar alt, aber die rostigen Stellen waren sorgfältig mit Mennige übermalt.
    Der Hof schien, jedenfalls auf den ersten Blick, ein richtiges Kleinod zu sein, ein Juwel, bei dem vor allem die Fassung perfekt war. Die Landschaft ringsum schien einen besonderen, fast widersprüchlichen Zauber zu verströmen, eine Mischung aus sanfter Idylle und wildwüchsiger Natur.
    Hinter dem großen Pferch befand sich Weidefläche, die auf der einen Seite an ein lichtes Birkenwäldchen und auf der anderen an den See grenzte. Zwischen den Bäumen war das rote Dach eines winzigen Bootshauses zu erkennen. Das ganze Anwesen wirkte friedlich und anheimelnd, eine bäuerliche Idylle wie aus einem Touristenprospekt.
    Dennoch machte der Hof auf Eva einen merkwürdig verlassenen Eindruck. Trotz der blökenden Schafe schien eine ungewöhnliche Stille zu herrschen. Evas Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, verstärkte sich, als sie sah, dass die Tür zum Haupthaus offen stand.
    »Hallo, ist hier jemand?«, rief sie. Da der Pick-up hier war, konnte der Besitzer nicht allzu weit weg sein. Doch auf ihren Ruf reagierte niemand.
    »Hallo«, rief sie erneut, diesmal lauter.
    Sie glaubte, etwas zu hören. Angestrengt lauschte sie, doch da war nur das Blöken der Schafe.
    »Ist jemand hier?«, schrie sie, diesmal so laut, wie sie konnte.
    »Hier«, kam es zurück, wie ein schwaches Echo ihrer eigenen Stimme. Eva ging in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war - eines der Nebengebäude.
    »Hallo?«, rief sie. »Gustav Axelsson? Sind Sie da drin?«
    Die Tür war nur angelehnt und öffnete sich mit kaum hörbarem Knarren, als Eva dagegen drückte. Der leicht beißende Geruch von feuchter Wolle schlug ihr entgegen, überlagert von Viehausdünstungen und dem säuerlichen Gestank von Futtermitteln. Der Boden des Stalles bestand aus festgestampftem Lehm und war mit Stroh bedeckt, das unter Evas Sohlen knirschte, als sie langsam einen Schritt vorwärts tat. Sie kniff die Augen zusammen, weil sie nach der blendenden Helle draußen im Hof hier im Dämmerlicht des Stalles kaum etwas sehen konnte. Nach zwei oder drei Sekunden
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