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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder
Autoren: Salman Rushdie
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sie fähig war. Sie konnte uns einfach hier heraussprengen, wenn sie das wollte.
    »Wenn ich so denke, Eleanor, dann nur, weil ich von den Besten gelernt habe. Für eine bedrohte Art habt ihr recht wenig Bedenken, euresgleichen zu töten.«
    »Sie sind kein leicht zu regierendes Volk«, schoss Eleanor zurück. »Versuch es doch selbst einmal.«
    »Soweit ich mich erinnern kann, haben ein paar meiner Vorschläge wunderbar funktioniert.«
    Eleanor wich von meinem Messer zurück, um Sullivan besser anfunkeln zu können. »
Hätten
wunderbar funktioniert. Wenn ich ein weiteres Paar Hände gehabt hätte, um sie umzusetzen.«
    »Ich war mehr als bereit, diese Rolle zu übernehmen. Ich war mir über das Risiko im Klaren.«
    Wütend wandte Eleanor sich ab. »Diesen Preis zu zahlen, war ich nicht bereit.«
    »Aber diesen schon?«, fragte Sullivan.
    Eleanor starrte ihn an.
    Und dann ertönte ein wenig bemerkenswertes Plop!
    Ich begriff nicht, was dieser Knall bedeutete, bis ich hinter Sullivan Delia entdeckte, Dees allgegenwärtige böse Tante, die über die beiden Feenleichen an der Tür stieg. In der Hand hielt sie eine sehr kleine, unecht aussehende Pistole.
    Sehr vorsichtig legte Sullivan eine Hand auf seinen Bauch und taumelte dann in Zeitlupe gegen einen der Klappstühle. Ich schloss die Augen, sah aber trotzdem, was passierte. Er fiel auf Hände und Knie und erbrach sich, erbrach Blumen und Blut.
    »Nicht zu fassen, dass ich hier diejenige sein muss, die Rückgrat beweist«, sagte Delia. »Ich wohne seit zwei Wochen in einem Hotel und verbringe jede Nacht bis zu den Ellbogen in toten Feen. Schneidet ihr endlich das Herz heraus, ehe ich böse werde.«
     
    Eleanors Ton wurde eisig. »Mein bestes Pferd gehört dem, der mir das linke Auge dieser Frau bringt.«
    Genau mein Gedanke.
    »Wartet!«, bellte Delia, als jede Hand im Saal nach einem Messer griff. »Ihr könnt mir das verdammte Auge ausstechen, wenn ihr wollt, aber eigentlich solltet ihr der da das Herz herausschneiden. Es ist schon fast elf. Was werdet ihr tun, wenn er hier ist und ihr Herz nicht in ihm steckt?« Sie wies auf den Gefährten auf der Bühne.
    Ich ging in die Hocke, packte Dees Arm und hievte sie auf die Füße. Stumm sahen Eleanor und Delia mich nur an. Delia und ihre Pistole standen zwischen mir und der Tür. Eleanor und ihr verdammter Voodoo-Zauber standen zwischen mir und einfach allem.
    »Warum rettest du dich nicht?«, zischte ich Dee zu. Im Sommer waren es mehr Feen gewesen, ich war so gut wie tot gewesen, und sie war trotzdem da herausgekommen. Jetzt brannte Nuala ganz allein, Sullivan lag blutend auf dem Fußboden, und Dee krümmte keinen Finger, um einzuschreiten.
    Doch statt an mich wandte Dee sich an Delia. »Was habe ich dir eigentlich getan?« Ihre Stimme klang heiser, als hätte sie geschrien oder gesungen.
    Delia schüttelte den Kopf und zog ein Gesicht wie die Karikatur einer ungläubigen Miene – als könnte sie nicht fassen, dass Dee das überhaupt fragen musste. »Ich will nur deine Stimme, wenn du sie nicht mehr brauchst.«
    Siobhan warf ein: »Meine Königin – wir haben keine Zeit. Schneidet ihr das Herz heraus, pflanzt es ihm ein und macht Karre zum König.«
    Im Geiste hörte ich das Lied des Dornenkönigs, der rasch näher kam. Doch statt
Wachset, erhebet euch, folget mir
lautete der Text nun:
Folget mir, labet euch, verschlinget sie
.
    Eleanor sah Siobhan an und nickte knapp.
    Dann ging alles blitzschnell. Siobhan stürzte sich auf Dee, griff mit einer Hand nach deren Schulter und hielt in der anderen das Messer. Stirnrunzelnd starrte Dee auf die Klinge, die zielsicher auf ihr Herz gerichtet war. Und ich streckte den Arm aus und schmetterte den Unterarm und das Handgelenk Siobhan ins Gesicht.
    Siobhan kreischte eigenartig schrill und torkelte rückwärts. Das Messer fiel klappernd zu Boden. Blumen strömten aus ihrem Gesicht. Vielleicht zerfiel auch ihr Gesicht zu Blumen.
    Eleanor trat zurück, als Siobhan ihr als Blütenteppich zu Füßen fiel. Sie sah angefressen aus.
    Ich betrachtete meinen Arm. Der Ärmel meines Sweatshirts war hochgerutscht und enthüllte den eisernen Armreif an meinem Handgelenk. Ein einzelnes gelbes Blütenblatt klebte noch daran. Das verdammte Ding hatte sich also
doch
als nützlich erwiesen.
    Ich hielt Eleanor das Handgelenk entgegen. »Wird das bei Euch genauso wirken?«
    Sie sah
richtig
angefressen aus.
    »James!«, rief Sullivan vom Gang zwischen den Stühlen her. Seine Stimme klang
nass
.
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