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Mit reinem Gewissen

Mit reinem Gewissen

Titel: Mit reinem Gewissen
Autoren: Wolfram Joachim und Wette Perels
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hatten oder aus Deutschland emigriert waren, den Eintritt in dieses einflussreiche Ministerium zu verwehren. Weder die alliierten Siegermächte noch einige kritisch eingestellte deutsche Presseorgane noch der Deutsche Bundestag konnten verhindern, dass die Personalrekrutierung für das neue Auswärtige Amt ganz im Geiste des alten geschah und die »Ehemaligen« führende Positionen besetzten.
    Konrad Adenauer, der sich ursprünglich für einen wirklichen Neuaufbau des Auswärtigen Amts eingesetzt, dann aber die Wiederverwendung der Diplomaten des Hitler-Regimes nicht verhindert, sondern gefördert hatte, ermahnte den SPD-Abgeordneten Fritz Erler im Oktober 1952 im Bundestag in bezeichnender Weise. Man solle mit der »Nazi-Riecherei« doch endlich Schluss machen, denn »wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört«. Damit artikulierte Adenauer den herrschenden Zeitgeist der frühen 1950er-Jahre. Die meisten Deutschen, allen voran die Funktionseliten Nazideutschlands, wollten von Kriegsverbrechen, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von den NS-Belastungen fast nichts mehr hören. Die NS-Vergangenheit wurde überwiegend verdrängt.
    Nach 1945 suchten Diplomaten der NS-Diktatur nach Wegen, sich in die neue Zeit hinüberzuretten. Zunächst legten sie den Mantel des Schweigens über ihre Überzeugungen und Handlungen in der Zeit des Nationalsozialismus und versuchten sich gegenseitig reinzuwaschen. Sodann entwickelten sie die Legende, das Auswärtige Amt sei »sauber« geblieben, ja, es sei geradezu ein Hort des Widerstands gewesen, zumindest |12| heimlich. Wir haben es mit einem Konstrukt zu tun, das eine große Ähnlichkeit mit der Legende von der »sauberen« Wehrmacht aufweist, die bald nach 1945 von ehemaligen Generälen in die Welt gesetzt wurde und die, seit den 1960er-Jahren von vielen historischen Studien vor allem zum Zusammenwirken von Wehrmacht und Einsatzgruppen widerlegt, erst in den 1990er-Jahren breitenwirksam überwunden werden konnte.
    Das Erscheinen des Buches »Das Amt« im Jahre 2010 wurde zum Medienereignis. Einer größeren historisch-politisch interessierten Öffentlichkeit waren die dargestellten Fakten offenbar kaum bekannt. Sie lösten bei ihr daher ein erschrockenes Staunen aus. Von wissenschaftlicher Seite wurde einerseits Lob, aber auch heftige Kritik an der Interpretation artikuliert. Offenbar hat das Werk einen Nerv getroffen. Es stellte sich der These von der Erfolgsgeschichte der Bonner Republik insbesondere deswegen entgegen, weil die Vorkehrungen der Rechtsschutzstelle des Auswärtigen Amts dafür gesorgt hatten, dass nationalsozialistische Verbrecher der Strafverfolgung entzogen wurden.
    Die vorgelegten Studien über die Karrieren und das Wirken ehemaliger Wehrmachtjuristen in der Bundesrepublik sind ihrerseits geeignet, empirisch fundiert die ideologischen Hindernisse zu beschreiben, die sich durch die personelle Kontinuität des Justizapparats der NS-Diktatur für die Konstituierung der demokratischen Rechtsordnung ergaben.
    Ungeachtet der grundlegenden Tatsache, dass der westdeutsche Staat Funktionseliten der NS-Diktatur weiter verwendete, wird die Geschichte der Bundesrepublik von vielen Zeithistorikern, Politikwissenschaftlern und Soziologen überwiegend als gelungene Konstituierung einer rechtsstaatlichen Demokratie beschrieben. Ralph Dahrendorf, der 1960 eine kritische Untersuchung zur sozialen Struktur der Richterschaft veröffentlicht hatte, drückte dies in einer Rede zum Gedenken an den Widerstand des 20. Juli 1944 folgendermaßen aus: Die Entwicklung der Bundesrepublik sei gekennzeichnet durch »eine demokratische Erfolgsgeschichte, die kaum ihresgleichen hat«. Andere Autoren wie Edgar Wolfrum und Manfred G. Schmidt |13| erklären die Bundesrepublik zu einer »geglückte[n] Demokratie«, deren Institutionen sich »sensationell erfolgreich« zu einem durchgängig rechtsstaatlichen »Machtverteilungsstaat« entwickelt hätten. Demgegenüber wurde der Begriff der Restauration, den Walter Dirks und Eugen Kogon zu Beginn der 1950er-Jahre in den »Frankfurter Heften« als Epochenbegriff zur Charakterisierung des Gewichts der einstigen Funktionseliten des Hitler-Regimes – der Wirtschaft, des Staatsapparats, der Justiz und der Universitäten – einführten, verworfen und zu einem, wie Rudolf Morsey schreibt, »destruktiven Interpretationskonzept« erklärt. Entsprechend heißt es bei Edgar Wolfrum im »Handbuch der deutschen Geschichte«, dass »in den
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