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Mit anderen Augen (German Edition)

Mit anderen Augen (German Edition)

Titel: Mit anderen Augen (German Edition)
Autoren: Kerstin Kroll
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zur Wohnungstür höre ich ihn im Schlaf seufzen. Was mich dazu verleitet, weiß ich nicht, aber statt zur Wohnungstür raus, gehe ich ins Schlafzimmer, um einen Blick auf ihn zu werfen. Er wühlt im Bett. Das ist mir gestern schon aufgefallen, aber heute Nacht sieht es so aus, als hätte er vor dem Schlafengehen einen Ringkampf geführt. Und das nach gerade mal einer Stunde, die Whistler im Bett liegt. Ich möchte nicht wissen, wie es morgen früh aussieht.
    Als er sich umdreht, ziehe ich mich in eine dunkle Ecke des Raums zurück. Ich hätte mich nie hinreißen lassen dürfen, sein Schlafzimmer zu betreten. Jedenfalls nicht, wenn er im Bett liegt. Man besucht seine Opfer im Schlaf, um sie zu töten und nicht um sie zu beobachten.
    Bob maunzt, springt vom Bett und streicht mir um die Beine. Ich müsste ihn ignorieren, aber wenn er jetzt keine Streicheleinheiten von mir bekommt, wird der Kater lauter werden und dann habe ich ein ernsthaftes Problem. Also gebe ich nach und hocke mich hin, um ihn zu streicheln. Er fängt an zu schnurren und stubst mit dem Kopf mein Knie an. Verwöhntes Tier. Aber ich kann nicht anders, als innerlich zu lächeln, weil der Kater genauso ist wie ich. Er nimmt sich, was er will.
    „Bob?“
    Whistler setzt sich im Bett auf und streckt einen Arm nach seiner Nachttischlampe aus. Im selben Moment greife ich nach der Beretta unter meiner Jacke und entsichere sie. Das Geräusch ist unüberhörbar. Er erstarrt in der Bewegung, lauscht und wartet ab. In der dunklen Zimmerecke kann er mich nicht sehen, aber es ist der einzige Ort im Schlafzimmer, wo ich mich befinden kann, ohne vom matten Schein der Straßenlaternen draußen erfasst zu werden.
    Whistler weiß das. Er ist ein Computerfreak, der zwar keine Ahnung hat, an wessen Fersen er sich geheftet hat, aber er ist kein Dummkopf. Vielleicht war mein Eindringen hier doch nicht so schlecht. Vielleicht kann ich ihm klarmachen, dass er sterben wird, wenn er nicht aufhört, nach mir zu suchen.
    „Hör' auf, mich zu suchen.“
    Er zuckt heftig zusammen. Mehr als ich erwartet habe, immerhin sucht er nach einem Mörder. Was hat er geglaubt? Dass seine Suche nach mir unentdeckt bleibt? Ich warte, bis er sich gefasst hat, dann lässt er den Arm sinken und schüttelt dabei den Kopf. Eine eindeutige Antwort.
    „Willst du unbedingt sterben, Kleiner?“
    „Ich werde dich suchen, solange ich lebe.“
    Seine Angst ist unüberhörbar, aber er meint, was er sagt. Ich weiß nicht, was ihn antreibt, aber er wird nicht aufgeben. „Rache ist kein guter Ratgeber.“
    „Du hast ihn umgebracht“, wirft Whistler mir vor, was mich mit den Schultern zucken lässt. Eine Tatsache, die ich kaum leugnen kann. Der Tod seines Vaters war ein Geschäft, nicht mehr.
    „Und?“
    „Und?“, wiederholt er verblüfft. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Und?“
    „Ich bin ein Auftragskiller, Whistler. Menschen umzubringen ist ein Geschäft für mich.“
    „Wie viel haben sie dir bezahlt?“, fragt er und irritiert mich damit, aber ich lasse es mir nicht anmerken.
    „Warum willst du das wissen?“
    „Sag' es mir!“
    Ich weiß zwar nicht, was daran interessant ist, aber allein die Frage macht mich neugierig. Der Junge will auf irgendetwas Bestimmtes raus und ich will wissen, zu was das hier fühlt. „Zehn Millionen.“
    Kurzes Schweigen.
    „Ich hätte dir mehr bezahlt.“
    Wie bitte? Ich bin vollkommen verblüfft. Mit so einer Antwort habe ich nicht gerechnet. Ich habe in meinem Leben schon einiges gehört und vor allem gesehen, aber diese fünf Worte sind wirkungsvoller als jede Kugel im Körper es sein könnte. Er muss seinen Vater genauso gehasst haben wie ich meinen, welchen Grund könnte er sonst für so eine Aussage haben?
    Ich frage nicht nach. Nicht, weil es mich nicht interessiert, denn das tut es, aber es gibt etwas Anderes, das mir wichtiger ist, als zu erfahren, warum der eigene Sohn seinen Vater tot sehen wollte. Whistler muss einen Grund gehabt haben, ausgerechnet bei meiner falschen Identität nachzuhaken und da ich schon mal hier bin und mit ihm rede, kann er mir auch sagen, was ihn an Romanov irritiert hat.
    „Wie bist du auf Romanov gekommen?“
    Er stutzt, streicht sich durch die vom Schlaf verwuschelten Haare. „Es war der Name.“
    Die Erklärung reicht mir nicht. „Warum?“
    „Sergej Romanov, das ist russisch“, wird Whistler genauer. „Und ich habe ein Gespräch belauscht, eine Woche, bevor du ihn ermordet hast. Mein Vater sagte zu
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