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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso
Autoren: Arne Dahl
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einem eigenwillig durchgeführten Einsatz, bei dem Sie eigentlich auf die Experten hätte warten sollen, waren Sie also von Ihrem Verdauungsapparat außer Gefecht gesetzt. Was, wenn Svensson den Täter erschossen hätte? Was, wenn der Täter gar nicht unschädlich gemacht gewesen wäre? Was dann? Sie haben viele lose Fäden hängen lassen.«
    »Sie verwechseln Huhn und Ei«, sagte Hjelm.
    »Was?« fragte Martensson.
    »Ich habe mich übergeben, weil der Täter unschädlich gemacht worden war. Weil ich zum ersten Mal in meinem Leben
    auf einen Menschen geschossen hatte. So was muss euch doch schon mal untergekommen sein.«
    »Natürlich. Aber nicht bei einem derart wichtigen und dann auch noch selbstgewählten Alleingang.« Martensson blätterte in seinen Unterlagen und fuhr dann fort: »Dies ist sozusagen ein kleiner Zusatz zu der ohnehin schon langen Liste fragwürdiger Zwischenfälle. Zusammengefasst liest sie sich wie folgt. Erstens: Sie sind allein in das Gebäude gegangen, obwohl die Spezialeinheit bereits unterwegs war. Zweitens: Sie haben sich ohne Vorwarnung vor die Tür gestellt und gerufen. Drittens: Sie haben behauptet, unbewaffnet zu sein, obwohl Ihre Pistole gut sichtbar aus dem Hosenbund ragte. Viertens: Sie haben den Täter wissentlich getäuscht, um ihn zu überzeugen. Fünftens: Sie haben auf eine nicht vorschriftsmäßige Körperpartie geschossen. Sechstens: Sie haben den Angeschossenen nicht entwaffnet. Siebtens: Sie haben zugelassen, dass eine der Geiseln in Panik den angeschossenen Täter misshandelte und beinahe erschoss. Ermessen Sie allmählich das Ausmaß der Problematik, vor der wir stehen?«
    Grundström räusperte sich und sprach weiter: »Über diese Liste hinaus gibt es ein paar weitere, nicht minder wichtige Punkte, die Aufmerksamkeit verdienen. Ich rede von Regeln und Disziplin. Das berührt einerseits das Misstrauen gegenüber der Polizeiorganisation, andererseits die Ausländerfrage. Zusammengenommen ebnen Ihre Fehler einer richtig unangenehmen Radikalenmentalität den Weg, für die es in unserem Korps keinen Platz gibt. Ich sage nicht, dass Sie ein Rassist sind, Hjelm, aber Ihr Handeln und die Lobhudelei der Medien bringen das Risiko mit sich, dass gewissen Einstellungen, die in großen Teilen des Polizeikorps latent vorhanden sind, eine Legitimation gegeben wird. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
    »Sie wollen ein Exempel statuieren ...«
    »Wir wollen nicht, wir müssen. Ich bin zwar überzeugt davon, dass Sie der weniger maroden Hälfte des Korps angehören, Sie sind ein denkender Mensch, manchmal vielleicht ein wenig zu nachdenklich. Aber unsere Aufgabe ist klar definiert: Es geht nicht darum, einzelne verdorbene Polizisten auszumerzen, das ist zweitrangig, sondern wir haben dafür zu sorgen, dass die unguten Tendenzen innerhalb des Polizeikorps keine offizielle Legitimation erhalten. Dann wären wir nämlich verdammt nahe am Polizeistaat. Und so sieht es überall in der Gesellschaft aus. Der Abgrund lauert in uns. Die Projektionen unseres Versagens. Die Stimme des Volkes, der Ruf nach einfachen Lösungen. Und die Haut, die diesen Gesellschaftskörper lose zusammenhält, ist die Ordnungsmacht. Ganz außen sind wir, der Gefahr am nächsten, an exponiertester Stelle. Wird die Haut an der richtigen Stelle angestochen, quellen die Eingeweide des Gesellschaftskörpers heraus. Begreifen Sie, was für eine Lawine Sie mit Ihrem Alleingang hätten auslösen können? Mir ist wirklich daran gelegen, dass Sie verstehen, was ich meine.«
    Hjelm blickte Grundström tief in die Augen. Er war sich nicht sicher, was er dort sah. Ehrgeiz und Karrierestreben im Kampf mit Pflichttreue und Aufrichtigkeit vielleicht. Womöglich sogar echte Sorge angesichts der Stimmungen, die bei den Uniformierten zweifellos unter der Oberfläche brodelten. Grundström würde nie ein Kollege unter anderen werden, er würde immer eine spezielle Rolle einnehmen, außerhalb stehen. Er wollte das Uber-Ich des Polizeikorps sein. Erst jetzt wurde Hjelm klar, was für eine Topkraft sie zu ihm geschickt hatten. Und weshalb, vielleicht auch das.
    Er starrte konzentriert auf die Tischplatte und sagte leise: »Alles, was ich wollte, war, eine schwierige Situation so schnell und so einfach und so gut wie möglich zu lösen.«
    »Es gibt keine isolierten Handlungen«, sagte Grundström und fing Hjelms Blick ein. In seinem Ton schwang beinahe etwas Persönliches mit. »Jede Handlung zieht grundsätzlich eine ganze Flut
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