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Milchbart (German Edition)

Milchbart (German Edition)

Titel: Milchbart (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
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hinter der galanten Verbeugung, dachte Thekla spöttisch. Für eine umfangreiche Bestellliste würde der Kerl Bluthund und Zerberus hofieren.
    »Pfeffer weiß ganz genau, dass die Bestellungen vom Bestattungsinstitut Westhöll über meinen Schreibtisch gehen«, sagte Hilde.
    Thekla schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. Nein, Hilde ließ sich nichts vormachen – von niemandem. Das war schon immer so gewesen. Bereits während ihrer gemeinsamen Schulzeit hatte Thekla sie für ihre bemerkenswerte Klarsicht bewundert und ihr dafür die eklatante Barschheit und das mangelnde Einfühlungsvermögen nachgesehen.
    »So ein strammer Bursche«, sagte Wally mit einem Seufzer und warf einen verträumten Blick in Richtung Arkaden. »Und ich hatte den Eindruck, als würde er sich ernstlich für dich interessieren, Hilde.«
    Hilde ignorierte Wallys Bemerkung. »Rudolf hat diese seltsamen Flecken schon an anderen Toten gesehen«, sagte sie stattdessen. »Er hält sie für verdächtig.«
    Sie ist klarsichtig, vernunftbegabt, scharfsinnig – vor allem aber ist sie halsstarrig, dachte Thekla.
    Laut sagte sie: »Bevor man den Bestatter an eine Leiche lässt, muss sie doch von einem Arzt genauestens untersucht worden sein. Ominöse Flecken hätte der …« Sie verstummte, weil Elisabeth, von Wally herangewunken, eilig an den Tisch trat.
    »Bitte«, hechelte Wally, »bringen Sie mir noch einen doppelten Cognac.«
    »Bringen Sie gleich drei, Elisabeth«, sagte Thekla. »Ich glaube, wir haben heute alle ein Beruhigungsmittel nötig.«
    Elisabeth schaute fragend in die Runde, als jedoch keine weiteren Erklärungen folgten, ging sie zur Theke, um drei Cognacgläser zu füllen.
    »Rudolf hat Dr.   Stenglich schon in zwei Fällen auf die Besonderheit dieser Flecken aufmerksam gemacht«, berichtete Hilde.
    »Ja und weiter?«, fragte Thekla ein wenig gereizt. »Was ist dabei herausgekommen?« Sie machte eine unwillige Geste. »Muss ich es dir aus der Nase ziehen?«
    »Stenglich ist ein verdammter Idiot«, erwiderte Hilde. »Ein seniler, uneinsichtiger Idiot.«
    »Er hat einen Doktor in Medizin und jahrzehntelange Erfahrung in seinem Beruf«, entgegnete Thekla trocken und fügte dann jede Silbe betonend hinzu: »Was – hat – te – er – zu – den – Fle – cken – zu sa – gen?«
    Hilde zog ein Gesicht. »Nichts wirklich Erhellendes: Nebenwirkungen von Arzneien, Wundliegen, Allergien, blablabla.«
    »Hört sich das nicht einleuchtend an?«, fragte Thekla.
    Hilde schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Cognacschwenker tanzten, die Elisabeth soeben hingestellt hatte, und erneut einige Gäste die Köpfe drehten. »Nein, gar nicht, nicht im Mindesten.« Sie äffte Thekla nach: »Sol – che Fle – cken – sind – das – nicht.« Mit normaler Stimme fuhr sie fort: »Rudolf hat mir die Flecken – manchmal nennt er sie auch Blasen, weil sie sich ein wenig von der Haut abheben – genau beschrieben. Er muss sie gründlich studiert haben, als er die Leiche des Dichters auf dessen Sterbebett versorgte, und ich stimme ihm uneingeschränkt darin zu, dass Wundliegen anders aussieht, auch gängige Allergien sehen anders aus, Totenflecken ebenso. Am ehesten ähneln sie Brandblasen. Und soll ich dir sagen, worin sich die ominösen Blasen-Flecken am meisten von mir bekannten Hautveränderungen bei Toten unterscheiden?«
    Thekla nickte.
    Wally hatte nach ihrem Glas gegriffen, hielt es umklammert und starrte Hilde so ängstlich an, als erwarte sie Giftpfeile statt Worte. Ihre Fingernägel schimmerten korallenrot, sie waren mit Glitzersteinchen besetzt, von denen sich jedoch einige abgelöst und unschöne Ränder hinterlassen hatten.
    »Weil sich die flachen Blasen«, fuhr Hilde bedeutungsvoll fort, »fast ausschließlich an den Knie-Innenseiten der Toten befinden. Verstehst du, Thekla«, fügte sie eindringlich hinzu, »es muss sich um ein ganz spezielles Symptom handeln.«
    »Ja«, antwortete Thekla nüchtern, »um die Nebenwirkung eines Medikaments eben – wie Dr.   Stenglich angeführt hat.«
    Hilde betrachtete eine Weile nachdenklich eine kleine Verfärbung in der Tischplatte, dann sagte sie leise: »Eine Nebenwirkung, ja. Und sie hinterließ womöglich deshalb so eindeutige Spuren, weil das Medikament überdosiert war und zum Tod geführt hat.«
    Thekla griff nach ihrem Glas und trank es in einem Zug leer. Sie musste husten und sich schnäuzen, bevor sie fragen konnte: »Was hat denn Stenglich in die jeweiligen Totenscheine
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