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Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer
Autoren: Seidel Jana
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fängt Juli an zu kichern. Als sie meinen vernichtenden Blick sieht, schlägt sie sich schnell die Hand vor den Mund.
    Â»Entschuldigung, aber ein bisschen witzig ist das schon«, sagt sie mit entschuldigendem Blick.
    Â»Inwiefern?«
    Toni antwortet für sie: »Nun, du bist Indien-Fan, heiratest hoffentlich demnächst einen Inder, warst aber noch nie da. Dafür lebt dein Vater dort, den du seit Jahren nicht gesehen hast. Klingt nach einer merkwürdigen Kiste, die Freud sehr gefallen hätte.«
    Ich schaue düster auf den Tisch: »Ich war schon mal in Indien. Und mit schrägem Vaterkomplex hat das alles ganz sicher nichts zu tun.« Mist, auch wenn es unglaubwürdig klingt. Mir war bislang noch nie aufgefallen, dass mein Vater und ich ja nun ganz offensichtlich eine Vorliebe teilen. Zwischen seinem Indienaufenthalt und meiner Männerwahl habe ich ganz ehrlich noch nie einen Zusammenhang hergestellt.
    Â»Und uns hast du gar nichts davon erzählt?«, fragt Peter vorwurfsvoll.
    Â»Ist ja auch schon lange her«, schnauze ich ihn zickiger an, als er es verdient hat. »Das war der letzte gemeinsame Urlaub mit meiner Mutter«, schiebe ich leiser als Erklärung hinterher. Natürlich bereue ich sofort, dass ich das gesagt habe. Genauso gut hätte ich mir ein T-Shirt überstreifen können, auf dem in dicken, blutroten Lettern »Opfer« steht. Die anderen drei rühren hektisch in ihren Cocktails rum und machen komische kleine Geräusche.
    Â»Oh.«
    Â»Ach so.«
    Â»Ã„hem.«
    Â»Hey, ist doch kein Drama. Das war ein total schöner Urlaub«, sage ich schnell und schaffe es, die Tränen zurückzuhalten. Das entspricht sogar der Wahrheit. Von wegen Freud. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen meinem Vater und mir ist sicher diesem einen Urlaub geschuldet. Wir waren glücklich dort, so als Familie. Mama war die ganze Zeit braun gebrannt, trug flatternde Klamotten, lachte viel und schüttelte ihre langen sonnenblonden Strähnen.
Wir waren eine richtige Hippie-Familie. Komisch, auch darüber habe ich noch nie nachgedacht, warum ich so von Indien fasziniert bin. Dabei ist die Antwort schon fast peinlich simpel. Die anderen dachten sicher, das wäre so ein esoterisches Selbstfindungsding. Dazu passt ja auch meine weitgehend vegetarische Ernährung – abgesehen von ein paar Grillabend-Ausrutschern im Sommer – und, dass ich sowohl mein hiesiges als auch mein chinesisches Sternzeichen kenne. In China bin ich Drache. Ein Glückszeichen. Nicht schlecht, oder? Aber das heißt ja nicht, dass ich in Batikklamotten rumlaufe oder pausenlos mit gefalteten Händen im Räucherstäbchenqualm meditiere. Na ja, versucht habe ich das auch schon, wie auch jede Art von Mantras und Visualisierungsübungen. Probieren kann man’s ja mal …
    Dabei ist das alles wohl wirklich nur eine versteckte Sehnsucht nach einer Zeit, als alles noch irgendwie normal war. Wir waren ständig in einem alten VW-Bus unterwegs, meine Eltern haben gelegentlich Joints geraucht und konnten sicher besser surfen als Windeln wechseln. Aber wir waren trotzdem eine ganz normale Familie, in der es sehr fröhlich und liebevoll zuging. Weil ich damals noch so jung war, erinnere ich mich nur an vereinzelte Bilder und bestimmte Gefühlslagen. Aber die sind alle sonnig, leicht und schön. Bis ich sechs Jahre alt war.
    Nach dem »Unfall« folgte eine Geschichte, die einen langweilen würde, wenn man sie nicht selbst durchlebt hätte. Sicher lief es bei vielen so: Mein Vater bekam nichts mehr geregelt, verlor seinen Job und war alles in allem nur noch peinlich. Vor allem aber wusste er nicht, wie er mit mir umgehen sollte. Zum Beispiel in der Weihnachtszeit. Er hat mich durch alle Kaufhäuser geschleift, in denen Weihnachtsmänner und Nikoläuse angekündigt waren, die Süßigkeiten verteilen. Die Kleine sollte im Advent nicht auf Massen von klebriger Schokolade verzichten müssen. Ich bin mir sicher, die weihnachtlich geschmückten Kaufhäuser waren ihm ebenso zuwider wie mir. Aber wirklich herausgefunden habe ich das nie. Er hat auch nie erfahren, wie ich darüber denke. Weil wir, ohne es jemals auszusprechen, die Übereinkunft hatten, niemals über Mama zu sprechen, lief ich brav hinter ihm her und schnorrte Weihnachtsschokomänner.
    Das klingt harmlos, nur kam es mir nicht so vor. Vielleicht bin ich ja wie Oscar und Johann und
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