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Messewalzer

Messewalzer

Titel: Messewalzer
Autoren: Andreas Stammkötter
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gearbeitet. Eimnot war einer der wenigen dunkelhäutigen Menschen, die vor und kurz nach der Wende in Leipzig wohnten, ein Umstand, der ihm zum Verhängnis werden sollte.
    Tatort war ein neu errichtetes Bürogebäude am Martin-Luther-Ring. Tatzeit war der 28. Juli 1982, 22.45 Uhr. Im dritten Stock wurde die Tochter eines bekannten Juweliers erdrosselt und ausgeraubt. Eimnot wurde beschuldigt, Annemarie Rosenthal, unmittelbar nachdem sie ihren Pkw bestiegen hatte, einen Schal um den Hals gewickelt und sie dadurch getötet zu haben. Anschließend soll er sein Opfer in den Kofferraum gelegt und mit dessen Pkw die Straße verlassen haben. Die Dienst habende Sicherheitsbeamtin hatte Eimnot beim Wegfahren zweifelsfrei wiedererkannt. Der Wagen von Annemarie Rosenthal wurde schon am nächsten Tag in einem Braunkohletagebaugebiet im Süden Leipzigs gefunden. Nach Auskunft des Juweliers Wilhelm Rosenthal fehlte ein Koffer mit wertvollem Schmuck, der versicherte Wert betrug 750.000 Ostmark. Die Bluse der Toten, die aus dem Kofferraum geborgen wurde, wies geringe Blutspuren auf. Ein Gerichtsmediziner hielt es für denkbar, und zwar ›mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‹ , dass es dem Opfer irgendwie noch gelungen sein musste, seinen Mörder zu beißen. Diese Annahme beruhte darauf, dass sich Annemarie offensichtlich mit der Bluse noch über den Mund gefahren war, denn neben den Blutflecken befanden sich Lippenstift und Speichel, der von der Toten stammte. Das Blut konnte ihr jedoch nicht zugeordnet werden. Tatsächlich befanden sich an Eimnots Unterarm frische Bisswunden, deren Herkunft er sich nicht erklären konnte. Er behauptete, am 28. Juli 1982 in den Leipziger Kneipen unterwegs gewesen zu sein. Sein Erinnerungsvermögen reichte allerdings nur bis circa 22.00 Uhr, danach hatte er einen alkoholbedingten Filmriss. Er besaß also für die Tatzeit kein Alibi. Eimnot konnte nur vermuten, dass er sich die Bisswunden am Unterarm zugezogen hatte, als er gegenüber einer jungen Dame zudringlich geworden war. Die Ermittlungen der Polizei, die wohl nicht allzu gründlich durchgeführt wurden, bestätigten diese Einlassung nicht.
    Die Indizien belasteten Eimnot schwer: Er hatte kein Alibi, die Sicherheitsbeamtin hatte ihn wiedererkannt und die Bisswunde am Unterarm konnte er sich nicht erklären. Diesem Druck war er nicht gewachsen. Irgendwann begann er, selbst an seiner Unschuld zu zweifeln. Er hatte kein Erinnerungsvermögen, also konnte er sich auch nicht absolut sicher sein, dass er es nicht war. Er erfand immer neue Geschichten, die allesamt widerlegt wurden. Zuletzt hatte er sich sogar ein falsches Alibi von einer Bekannten geben lassen, die gegenüber der Polizei zu Protokoll gegeben hatte, dass Eimnot am Tattag ab 22.00 Uhr bei ihr gewesen sei. Diese Angabe ließ sich leicht widerlegen, da die Bekannte zu dieser Zeit auf einer Party gesehen wurde, sie war der Anlass für Eimnots Verurteilung. Warum sollte sich ein Unschuldiger ein falsches Alibi besorgen? Der Prozess war kurz: Lebenslänglich plus Sicherheitsverwahrung.
    Krolls Kaffeetasse war längst leer. Er nippte gedankenversunken an dem leeren Becher und überlegte, ob er sich einen frischen Kaffee holen sollte. Er entschied sich jedoch dazu, weiterzulesen. Zu sehr nahm ihn die Geschichte des Studenten gefangen.
    Die Zeit im Gefängnis und das viele Nachdenken hatten Eimnot neuerlich zu der festen Überzeugung kommen lassen, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Er beschwor unaufhörlich seine Unschuld. Er begann damit, Briefe an alle möglichen Personen zu schreiben, von denen er sich Hilfe erhoffte. An den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten, die Justizminister des Bundes und der Länder, die Ministerpräsidenten, an Prominente, an Organisationen, die Zeitungen und sogar an den Papst. Diese unbändigen Aktivitäten führten dazu, dass die Organisation Prison Rights Watch auf den Fall aufmerksam wurde, die ihre vorzüglichen Medienkontakte nutzte, um Eimnot in die Schlagzeilen zu bringen. Hinzu kam das Wahljahr. Der Justizminister des Freistaates Sachsen wagte einen zeitgemäßeren Schritt. Neue Methoden, die im Jahre 1982 noch unbekannt waren, brachten ein überraschendes Ergebnis: Die DNA des Blutes auf der Bluse von Annemarie Rosenthal war nicht identisch mit der von Eimnot. Eine nicht mehr aufzuhaltende Maschinerie wurde in Gang gesetzt. Der Druck der Medien auf die Politik war nicht mehr einzufangen. Die Leiche der Juwelierstochter musste
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