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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita
Autoren: Michail Bulgakow
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Balsam beschmiert war. Ein zahnloser, eingefallener Mund, eine schlaffe und launische Unterlippe. Jetzt schwanden die rosafarbenen Säulen der Galerie, die Jerschalajimer Dächer in der Ferne, hinter den Gärten. Und alles rings ertrank im üppigsten Grün der Capreischen Blüten. Und das Gehör – wie sonderbar: Es erlauschte von weit her Drommeten, gedämpft und drohend. Und dann, überaus deutlich, eine näselnde Stimme selbstherrlich die Worte dehnen: »Paragraph: Majestätsbeleidigung …«
    Die Gedanken schwirrten – sprunghaft, abrupt, lauter Abstrusitäten: »Bin verloren! …«, und dann: »Wir sind alle verloren! …« Und darunter ein gänzlich absurder: an die Unsterblichkeit, seltsamerweise unerträglich und trostlos.
    Pilatus riss sich zusammen, vertrieb den Spuk, zwang seinen Blick zurück auf die Galerie. Und wieder zeigten sich ihm die Augen des Häftlings.

    – Sag mal, Ha-Nozri –, begann der Statthalter und schaute Jeschua eigenartig an: Der Gesichtsausdruck des Statthalters war streng, doch die Augen nervös. – Hast du irgendwann einmal vom großen Caesar geredet? Antworte: Hast du? … Oder … hast du … nicht … – Pilatus zog das Wort »nicht« etwas mehr in die Länge, als bei Vernehmungen üblich. Sein Blick trug Jeschua einen Gedanken zu, welchen er dem Gefangenen gleichsam einflößen wollte.
    – Die Wahrheit zu sagen ist leicht und angenehm –, bemerkte der Häftling.
    – Ich will gar nicht wissen –, versetzte Pilatus mit gepresster, garstiger Stimme, – ob es dir angenehm oder unangenehm ist, die Wahrheit zu sagen. Denn du wirst sie mir wohl oder übel sagen müssen. Und sagst du sie mir, leg jedes Wort fein hübsch auf die Goldwaage, wenn du dem sicheren und vor allem qualvollen Tod entgehen willst.
    Niemand weiß, was mit dem Statthalter von Judäa geschehen war, doch er wagte es, seine Hand zu heben, gewissermaßen um sich vor dem Sonnenlicht abzuschirmen, und warf hinter dieser Hand – wie hinter einem schützenden Schild – dem Häftling einen bedeutungsschwangeren Blick zu.
    – Nun –, sagte er, – kennst du einen gewissen Judas von Kirjath? Und was genau hast du ihm vom Caesar erzählt, wenn du ihm überhaupt etwas vom Caesar erzählt hast?
    – Es war so –, fing der Häftling mit Freude an zu berichten, – vorgestern Abend lernte ich am Tempel einen jungen Mann kennen. Er nannte sich Judas und war aus Kirjath. Er lud mich in sein Haus in der Unteren Stadt ein und gab mir zu speisen …
    – Ein guter Mensch? –, fragte Pilatus, und ein teuflisches Feuer funkelte in seinen Augen.
    – Ein sehr guter Mensch, und sehr wissbegierig –, bestätigte der Gefangene, – er zeigte großes Interesse an meinen Gedanken und empfing mich in aller Gastlichkeit …

    – Hat sogar Leuchter angezündet … –, brachte Pilatus durch die Zähne im Ton des Häftlings hervor, wobei seine Augen glänzten.
    – Ja, richtig –, sagte Jeschua, ein wenig verwundert darüber, wie wohlunterrichtet der Statthalter war, – er bat mich, ihm meine Sichtweise auf die Staatsmacht darzulegen. Diese Frage hatte ihn stark beschäftigt.
    – Was hast du ihm nun gesagt? –, fragte Pilatus. – Oder wirst du mir weismachen wollen, es sei dir schon wieder entfallen? –, doch Pilatus’ Stimme klang bereits weniger hoffnungsvoll.
    – Unter anderem habe ich gesagt –, erzählte der Häftling, – dass jede Staatsmacht die Menschen knechtet. Doch es kommt eine Zeit, in der es keine Macht geben wird, keine Caesaren oder sonstigen Herrscher. Und der Mensch tritt ein in das Reich der Gerechtigkeit und der Wahrheit, das aller Gewalt entbehrt.
    – Und weiter!
    – Und weiter nichts –, sagte der Häftling. – Es kamen auf einmal Menschen hereingelaufen. Sie fesselten mich und steckten mich ins Gefängnis.
    Der Sekretär, bemüht, sich kein Wort entgehen zu lassen, kritzelte rasch die Sätze aufs Pergament.
    – Es gibt und gab in der Welt keine größere oder schönere Macht als die des Kaisers Tiberius! –, Pilatus’ kranke und angeschlagene Stimme wuchs empor.
    Aus irgendeinem Grund sah der Statthalter nun den Sekretär und die Eskorte hasserfüllt an.
    – Und du, verrückter Verbrecher, bist der Letzte, der über sie zu urteilen hat! – Und Pilatus schrie auf: – Die Eskorte fort von der Galerie! – Und ergänzte, zum Sekretär gewandt: – Lass mich mit dem Verbrecher allein. Es handelt sich um eine Staatsangelegenheit.
    Die Eskorte erhob ihre Speere und schritt, maßvoll mit den
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