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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
Autoren: Christopher Kloeble
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Ordensschwestern kaum aus der Ruhe bringen; sie wussten ja, wohin er jedes Mal floh. Und warum.
    »Ich bin dein Sohn«, sagte Albert zu Fred.
    »Du bist Albert«, sagte Fred zu Albert.
    »Und ich bin dein Sohn«, sagte Albert. »Und du bist mein Vater.«
    »Ich bin Fred.«
    »Und mein Vater.«
    Fred blinzelte.
    »Verstehst du mich?«, fragte Albert.
    »Ich verstehe immer alles«, sagte Fred.
    »Was habe ich gesagt?«
    »Du hast gesagt: Hast du mich verstanden? Ich habe dich verstanden, Albert.«
    »Und das davor?«
    »Du hast gesagt:
Und mein Vater

    »Du verstehst das?«
    »Ja«, sagte Fred, »und ich habe Hunger.«
    »Ich bin von dir«, sagte Albert, »ohne dich würde es mich nicht geben.«
    Und Fred sagte: »Danke. Das ist nett. Kochen wir Pfannkuchen mit Himbeermarmelade? Pfannkuchen mit Himbeermarmelade sind ambrosisch.«
    Dann, in Sankt Helena   – es gab immer ein Dann-in-Sankt-Helena   –, wehrte sich Albert gegen die Enttäuschung, indem er vor jedem Schlafengehen Freds Bericht las und sich vorstellte, dieses Kind, das von Fred gerettet worden war, sei er und nicht ein Mädchen namens Andrea, das, zusammen mit seiner Mutter, nach dem Busunglück Königsdorf für immer verlassen hatte.
    Er hoffte stets und glaubte manchmal und wusste gelegentlich, dass Fred ihn eines Tages retten würde, dass Fred mitten in der Nacht den Schlafsaal stürmen würde, das Licht anknipsen, zu Alberts Bett laufen und ihn mit sich nehmen würde. Wohin, war unerheblich, Hauptsache weg.
    Aber mit den Jahren schwand die Hoffnung. Da half auch grenzenlose Sehnsucht nicht. Wieder und wieder rannte er zu Fred und gegen Schwester Alfonsas Behauptung an; dieses Mal kann es klappen, sagte er sich, unverbesserlich, dieses Mal wird Fred begreifen   – und dann begriff Fred doch nicht. Und alles blieb beim Alten. Und Fred eben Fred.
     
    Albert legte Freds Bericht weg und zog sich einen Bademantel über. Im Garten steckte er sich eine Zigarette an. Rauchen konnte er nur zu später Stunde riskieren; Fred hatte ihn ermahnt: »Rauchen macht krank!«, und Albert wollte ihn nicht unnötig provozieren. Der Qualm verlor sich in der Nacht. Als sein Blick auf den BMW fiel, schnippte er die Kippe über den Gartenzaun; sie flog in hohem Bogen auf die Hauptstraße wieein abstürzendes Glühwürmchen. Albert trat gegen den Kotflügel und erwartete, dass es wehtun würde, doch er spürte kaum etwas. Dieser Kotflügel schien wie dafür geschaffen, von ihm getreten zu werden, er probierte es noch einmal und schlug zusätzlich auf die Motorhaube, hieb mit beiden Fäusten auf sie ein. Er hoffte, jemand würde vorbeikommen und versuchen, ihn aufzuhalten, dann könnte er denjenigen verprügeln oder verprügelt werden. Aber niemand kam.
    Außer Atem ließ er sich in den Beifahrersitz des BMW fallen und klappte das Handschuhfach auf. Er nahm die Blechbüchse und stellte sie auf das Armaturenbrett. Das schmeichelnde orangefarbene Licht der Straßenlaterne kaschierte einige ihrer Beulen und verlieh ihr einen kupferartigen Glanz. Albert wäre es lieber gewesen, sie hätte keinen glänzenden Stein enthalten, sondern handfeste Hinweise, Erinnerungsstücke, mit denen er etwas hätte anfangen können, ein Tagebuch von Anni etwa oder Familienfotos oder wenigstens irgendwelche Dokumente, er wusste nichts über seine Herkunft, seine Familie, er wusste nichts über seine Mutter, Albert hatte unendlich viele Fragen, und die einzige Hoffnung auf Antwort war Fred.
    Albert betrachtete die Finger seiner linken Hand. Eine kleine, leise, schrumpfende Hoffnung.
    Aus einem unbestimmten Bedürfnis heraus öffnete er die Blechbüchse und nahm das Gold in die Hand. Da entdeckte er eine Audiokassette am Boden der Büchse; auf deren angegilbtem Klebestreifen stand:
Mein Liebster Besitz
. Der schnörkelige Schulmädchenstil entsprach mitnichten Freds krakeliger Handschrift. Albert holte einen Walkman aus dem Wohnzimmer, fütterte das Kassettenfach, schob einen Knopf von OFF auf ON und sah das rote Lämpchen neben der Minutenangabe aufleuchten.
    Albert drückte PLAY.   Zuerst ein Knistern. Dann, langsam anschwellend, ein Rauschen, das ihm irgendwie bekannt vorkam, und fordernd. Es hörte sich an wie ein Schweigen. Er suchte darin, spulte vor und zurück, legte sein Ohr auf den Lautsprecher und überprüfte A- und B-Seite .
    Nichts.
    Er kletterte über die Mittelkonsole und setzte sich ans Steuer, nahm einen von Freds Kalendern aus dem Seitenfach in der Tür und schlug ihn auf. Mit
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