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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
Autoren: Uwe Steimle
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dreggsch wärn.«
    Sehn Se, wieder was gelernt, was ich nicht verstand.



Spielen im Hof verboten
    Weihnachten 1969 stand vor der Tür. Meine Mutti fragte mich: »Na, was wünschst du dir denn vom Weihnachtsmann?«
    »Enn Luftroller.«
    »Wer soll dir denn den offpumpen?«
    Im Hinterhaus wohnend, war es ein großes Vergnügen und ein Privileg, mit dem Roller im Hof fahren zu dürfen. Leider aber hatte ich keinen »Luftbereiften«, der Ventile wegen.
    »Stell dir bloß mal vor, die Luft geht runter«, sagte meine Mutti. »Wer soll die dir denn wieder offpumpen?«
    »Der Vati!«
    »Der kann das nicht, und außerdem kommt er nur am Wochenende, das weißt du doch selbst. Und da wird er nicht auch noch Luft offpumpen wollen.«
    Das leuchtete mir so was von ein, dass ich nie mehr gefragt habe . . . weder nach einem luftbereiften Roller, noch, ob Vati … na, Sie wissen schon. Also wurde es ein Holzroller.
    Auch war das Rollerfahren im Hinterhof alles andere als »urst«. Gelinde ausgedrückt war es eine Zumutung, ach, was sage ich, eine Tortur, denn die geriffelten Steinplatten ermöglichten kein Rollen im eigentlichen ihm zugedachten Rollersinn, sondern nur ein holperndes und stotterndes Fortbewegen, vorbei an Aschegrube und Waschhaus . . . unter frischer Wäsche hindurch, bis zur Kloppstange. Ich staune heute noch, dass es ohne Gehirnerschütterung ablief . . . na, ob dor Riffelplatten wegen. Eigentlich alles eene eenzsche Katastrophe!
    Für mich war es die Welt. Ich kannte nichts anderes. Mich mit mir selbst beschäftigen war das Gebot der Stunde. Was blieb mir auch weiter übrig, wollte ich nicht durchdrehen. Im Nachhinein ist man immer klüger, aber damals? Hätte
ich vielleicht Sturm klingeln sollen? Das war verboten. Oder laut rufen: »Mutti, allein im Hinterhof spielen, du, das entspricht nicht meinem derzeitigen Lebensentwurf!« Es hätte »gefatscht«. Laut rufen im Hof? Laut rufen im Hof war erst recht verboten – laut Aushang. »Taders wollen schlafen.« Was meine Mutti alles wusste!
    Des Weiteren waren verboten: Betteln, Hausieren, Straßenmusik.
    Ratten gab’s, aber mit denen wollte ich nicht spielen. Ballen war auch verboten, ebenso offenes Licht und Feuer. So blieb mir nichts weiter übrig, als mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich weiß, dass ich mich wiederhole. Aber womit sollte ich mich beschäftigen, wenn nichts da war, buchstäblich nichts?! Kein Sandkasten, kein Klettergerüst, kein Fatzel Rasen . . .
    Doch, da war ja die Kloppstange! An der ließ sich wunderbar hoch turnen. Schnell die Stange greifen. Verdammt! Abgerutscht! Also langsam und vorsichtig ins Waschhaus geschlichen. Ist es auf? Ja, Gott sei Dank! Jemand hatte vergessen, das Waschhaus abzuschließen – streng verboten! Ich also hinein, die Hitsche gemopst, und flugs … war ich auf der Kloppstange. Ich hängte die Kniekehle in die Kloppstange und baumelte kopfüber, also verkehrt herum, im 1. Hinterhof zu Dresden, in der Leipziger Straße 226, genau neben der Staatlichen Versicherung. Ich war selig, dem Himmel so nah … Alles drehte sich selbstvergessen in mir und um mich herum … Ja, ich war glücklich . . . für Sekunden. Da rief meine Mutti: »Uwe, bist du wahnsinnig, an der Kloppstange rumzuturnen?! Irgendwann fliegt die Mauer ein.«
    Das wusste meine Mutti schon im Jahre 1969.

Friedhof kontra Raupe und Erdbeerträume dazu
    »Lommel, nu beeil dich ma, mach hin, wir müssen offn Friedhof!«
    So, genau so war es. Ich war sechs oder sieben Jahre alt und spielte am allerallerliebsten bei Taders mit der elektrischen Raupe, die, wenn es nur schön dunkel war, sogar leuchtete. Ja, eine glühlampenleuchtende aus Blech gefertigte Raupe mit echten Gummiketten, einer in ihr wohnenden Batterie und dem immer lächelnden Raupenführer. Das war mein verwirklichter Kindertraum. Die Tader’sche Raupe fuhr gern über Kissen und Sofaritzen, schob Plätzchen, vornehmlich zur Weihnachtszeit, mühelos vom Clubcouchtisch, so dass Frau Tader oft saugen musste.
    Die Leuchtraupe durfte nur vom Chef selbst bedient werden. Heiko Tader hieß der und stammte natürlich aus dem Vorderhaus. Das einzig Wichtige bei dieser Raupe bestand darin, dass sie beständig leuchtete. Dass sie auch noch schob und fuhr – Nebensache! Noch heute denke ich: »Eine Raupe, die muss leuchten.«
    Dunkel musste es sein, dann ging die Arbeit mühelos, und wahrscheinlich sollten wir Jungpioniere so auf die späteren Nachtschichten im Berufsleben vorbereitet werden.
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