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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
Autoren: Vlada Urosevic
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Aus den Gesprächen der Frauen erfuhren wir, dass sie gestürzt war und sich ein Bein gebrochen hatte. Ich blickte Emilia an. Sie lächelte und schob die Hand in ihre Schürzentasche. Einen Moment lang war dort die Streichholzschachtel zu sehen.
    Die Flugzeuge flogen wieder weiter zum fernen Ploieşti, ohne unsere Stadt zu beachten.
    Ein paar Tage lang blieben sie aus. Auf großen Lastwagen fuhren die aus Griechenland kommenden Deutschen in ihren staubbedeckten Uniformen durch die Stadt. Opa Simon würdigte die Zeitschrift ›Signal‹ keines Blickes mehr, erklärte alle ihre Artikel für Lügen und entfernte jeden Abend die Plombe von der Skala des Radios, um Radio London zu hören. Durch die warme Abendluft flogen schon Fledermäuse.
    Als wir zu Abend aßen, bemerkte ich, dass Emilia ein Stückchen Brot in die Tasche steckte. Ich wusste sofort, dass sie etwas vorhatte.
    Nach dem Abendessen zerbröselte sie das Brotstückchen neben dem Spalt im ausgetrockneten Holzfußboden. Wir vermuteten, dass die Küchenschaben jede unserer Bewegungen verfolgten: Ihre Fühler tauchten auf und verschwanden wieder, als ahnten sie etwas. Wir zogen uns zurück und setztenuns auf die Ottomane. Doch die Küchenschaben waren vorsichtig. Sie bevorzugten die Dunkelheit für ihre Streifzüge.
    »Gehen wir schlafen«, sagte Opa Simon und hob den Kopf vom inzwischen verstummten Radio. »Es ist Zeit.«
    Nachdem er die Senderanzeige wieder auf Radio Sofia eingestellt und die Plombe befestigt hatte, ging er in sein Zimmer in der Mansarde. Emilia ging mit den Tanten in ein anderes Zimmer. Ich schlief auf der Ottomane in der Küche.
    Plötzlich schreckte mich etwas aus dem Schlaf. Ich hob den Kopf und stützte mich auf den Ellenbogen. »Psst«, sagte meine Cousine Emilia. Sie kniete in einem langen weißen Nachthemd in der Ecke auf dem Fußboden.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Erledigt«, sagte sie. »Sie ist drin.« In der Hand hielt sie die Streichholzschachtel. »Diesmal entkommt sie nicht.«
    Am nächsten Morgen entdeckte ich die ersten reifen Früchte in der Krone des großen Kirschbaums im Hof. Ich stand da und überlegte, wie ich an sie herankommen könnte.
    »Ich habe einen Plan«, sagte meine Cousine Emilia.
    »Für die Kirschen?«, sagte ich.
    »Aber nein«, sagte Emilia. »Für die Küchenschaben-Oma.«
    Ich konnte sie nicht mehr fragen, was sie vorhatte. Das Aufheulen der Sirene durchstieß die Luft des sonnigen Vormittags, dann folgte auch schon der nächste Heulton. Es war, als verstummten in der Stadt alle anderen Geräusche.
    Das ganze Haus geriet in Aufruhr. Das Feuer im Ofen wurde gelöscht, Opa Simon raffte seine Aufzeichnungen zusammen, die Tanten überlegten, ob sie auch nichts vergessen hatten: »Wasser, Zucker, Kerzen, Streichhölzer …«
    »Wo sind die Streichhölzer?«, fragte Tante Anastasia.
    »Komm mit«, sagte meine Cousine Emilia und zog mich in den Hinterhof.
    »Wo sind die Streichhölzer?«, rief Tante Anastasia. »Hat jemand die Streichholzschachtel gesehen?«
    Das Geheul der Sirenen schraubte sich über der Stadt empor. Sie heulten wie von Hunger, Verzweiflung und Schmerz überwältigte Tiere.
    Meine Cousine Emilia zog zwei Streichholzschachteln aus ihrer Schürzentasche. Aus der einen lugte ein Fühler der Küchenschaben-Oma hervor. Es war ein feines, ausdauerndes Scharren zu hören.
    »Halt mal«, sagte Emilia.
    Ich nahm die Schachtel.
    »Nicht so. Halt sie mit den Fingern in der Mitte«, sagte sie.
    Sie riss ein Streichholz an. Dann hielt sie die kleine Flamme erst an die eine, dann an die andere Seite der Schachtel.
    Die Tanten verschlossen das Haus. Opa Simon war schon eilig zum Tor unterwegs.
    »Wo steckt ihr denn?«, riefen die Tanten, die nach uns suchten.
    Die Flamme versengte mir die Finger. Ich ließ die Schachtel auf den Steinboden fallen. Das Schächtelchen brannte mit bläulicher Flamme und krümmte sich. Es blähte sich, platzte leise knallend auf, erblühte wie eine Blume. Plötzlich war durch einen Spalt die Küchenschaben-Oma zu sehen. Sie versuchte, herauszukommen, tastete verzweifelt mit den Beinchen nach den brennenden Rändern, aber die Flamme leckte an ihr, umhüllte sie schließlich, und sie zog sich zusammen. Ihr schwarzer, glänzender Körper schwoll an wie ein Kokon,ihre Gliedmaßen teilten sich, dazwischen quoll eine ekelhafte weiße Flüssigkeit hervor. Es zischte, als entweiche Luft aus einem kleinen Ballon.
    »Was macht ihr denn da, um Gottes willen«, kreischten die Tanten
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