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Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition)
Autoren: Oliver Maria Schmitt
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Strich-Achter, Heckflosser, Flügeltürer und, ganz am Ende der kleinen Halle, ein silberner 190 SL mit roten Ledersitzen. «Eine original Nitribitt-Schaukel» sei das. Und diese Autolegende, die würde er, respektive seine Firma, mir bald schon für den Wahlkampf zur Verfügung stellen – wenn ich meine Person für den Wahlkampf zur Verfügung stellen würde.
    Ich war geblendet und schlug ein. Deal. Ehrenwort unter Ehrenmännern. Das fiel mir nicht schwer. Der Landesvorsitzende schaute auf seine schwere Armbanduhr. «Gleich sieben, da fängt die Nominierungssitzung an. Wir müssen los.»

    Wir fuhren durch die Stadt in eine Gaststätte, von der der Landesvorsitzende behauptete, sie sei das «Parteilokal». Was würde mich dort erwarten? Ein aufgepeitschter Mob, der mich auf Schultern durch die Straßen trug? Wollte ich das wirklich? War ich innerlich überhaupt schon bereit für die Machtergreifung? Würde sich dadurch nicht mein ganzes Leben verändern und private Beziehungen auf der Strecke bleiben? War Politik nicht sogar Gift fürs Eheleben? Mein Vorbild Christian Wulff würde das wohl mittlerweile bestätigen. Und dass es der vormalige SPD-Männerbund Schröder, Lafontaine & Scharping zu dritt auf insgesamt neun Ehen bringt, das muss man ja auch erst mal nachmachen.
    Aus den Augenwinkeln schaute ich den Landesvorsitzenden an. Er fuhr, telefonierte und führte sich oral Nüsse zu. Er war im Einklang mit sich selbst. Ich nahm mir vor, ihn mir ebenfalls zum Vorbild zu nehmen.
    Die Spelunke hieß Klabunt und lag in einem der Vergnügungsviertel der Stadt, die ich demnächst regieren sollte. Um einen runden Tisch herum, den ein offenbar scherzhaft gemeintes Schild als «Stummtisch» ausgab, saßen einige Herrschaften vor Hopfengetränken und sprangen auf, als der Landesvorsitzende mit aller ihm zu Gebote stehenden Autorität das Lokal betrat und mich an den Tisch bugsierte.
    «Das ist euer künftiger Bürgermeister», stellte er mich mit korrekter Amtsbezeichnung, jedoch ohne Namen vor. Die Mitgliederversammlung sah mich an. Ich kannte keinen Einzigen. Ratlos fixierte ich die Runde. Die Runde fixierte zurück.
    Nur wenige alkoholische Getränke später, die sämtlich auf das Konto des Landesvorsitzenden gingen, hatte ich ein festes Band mit der Parteibasis geknüpft. Es waren phantastisch aufgestellte junge Leute, allesamt wackere Burschen und Mädel, die hervorragendsten Vertreter ihrer Zunft: Stipendiaten, Umschüler und angehende Elektriker, ein volontierter Koch, ein Berufsschullehrer und ein Mikrobiologe, außerdem ein stark übergewichtiger Webmaster, eine anorektische Webmasterin und ein Diplom-Soziologe, zwei Schülerinnen und ein Mann mit Nickelbrille und Spitzbart, der als Berufsbezeichnung «Inspizient» angab. Insgesamt ein repräsentativer Schnitt durch unsere urbane Zivilgesellschaft und deren äußere Ränder. Schnell hatten wir uns ineinander verliebt, die Parteibasis und ich. Gerade wollte ich auf einen Stuhl steigen und eine erste improvisierte Ansprache halten – da drückte mich eine mächtige Pranke, die aus einem nicht minder mächtigen Landesvorsitzenden herausgewachsen war, zurück auf den Stuhl. Zum Redenschwingen hätte ich später noch genug Gelegenheit, beschied er und öffnete seinen riesigen Dokumentenkoffer.
    Nun wurden Zettel ausgepackt, Formblätter verteilt, Vertrauensleute und Wahlleiter bestimmt, Hände gehoben, Zettel ausgezählt und Protokolle unterzeichnet, deren Sinn ich nicht genau verstand. Das seien «die hohlen Rituale der Demokratie», erklärte mir der sogenannte «Inspizient», der mich irgendwann im weiteren Verlauf des immer unübersichtlicher werdenden Abends gemeinsam mit dem Landesvorsitzenden vom Stuhl riss, meine Hand ergriff, in die Luft reckte und schrie: «Hurra! Wir haben einen Spitzenkandidaten!»
    In den Applaus der improvisierten Partei- oder Ausschuss- oder, wer weiß, Ortsvereinversammlung rief der Landesvorsitzende: «Die PARTEI war bis jetzt nur eine kleine, schmierige Oppositionspartei, die in Deutschland nach der Weltmacht strebte. Nun werden wir mit dem Spitzenkandidaten Oliver Maria Schmitt zu einer großen, schmierigen Regierungspartei werden. Ein Hoch auf ihn und auf unseren GröVaZ, unseren größten Vorsitzenden aller Zeiten – auf Martin Sonneborn.»
    Der Name Martin Sonneborn ließ mich zusammenzucken. Er ist der unumstrittene Gründer und Führer unserer Partei. Doch hat er seine Macht und seinen unermesslichen Reichtum nur mir zu
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