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Mein Herz springt (German Edition)

Mein Herz springt (German Edition)

Titel: Mein Herz springt (German Edition)
Autoren: Susan Bauer
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kann ich belanglose Dinge viel intensiver genießen. Früher brauchte ich immer Action. Ich hatte ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Still sitzen und meinen Gedanken freien Lauf lassen, war undenkbar. Heute ist das anders. Ich bin nicht mehr auf der Suche nach etwas Unbekanntem. Das Glück hat mich gefunden. In Köln mit Kalle und Frieda. Es ist beeindruckend, was die Geburt eines Kindes für Veränderungen mit sich bringt. Und dabei liegen die wenigsten davon im Alltag verborgen. Das Gefühl des Angekommenseins setzt eine bis dahin ungeahnte Art von Energie frei und eröffnet den zweiten großen Lebensabschnitt. Trotz dieser inneren Zufriedenheit spüre ich ein Kribbeln in mir. Ein Kribbeln der Zuversicht, der Vorfreude, der Nervosität.
    Ich blicke mindestens eine Stunde still und leise aus dem Fenster. Als der Zug auf einer extra für ICEs ausgebauten Strecke um die 300 km/h aufnimmt, verlaufen die Konturen der Hügel und Wälder vor meinen Augen. Ich wende meinen Blick zurück in das Abteil. Für die circa neunstündige Zugfahrt habe ich mich mit Fachzeitschriften, einer Illustrierten und dem neuen Roman meines Lieblingsautors »Wo geht’s nach Süden?« ausgestattet. Im Moment ist mir allerdings noch nicht nach Lektüre. Ich entscheide mich für einen Kaffee im Bordbistro.
    Dazu gönne ich mir ein Stück Käsekuchen. Ich will die lange Zugfahrt maximal ausnutzen, das heißt maximal genießen. In mir herrscht ein Gefühl von Freiheit, wie ich es die letzten Jahre selten empfunden habe. Ich will mich zwingen, nichts zu tun,wozu ich keine Lust habe. Das Lesen der Fachzeitschriften ist somit tabu.
    Es mag seltsam klingen, dass ich bei einer Zugreise, die auch noch mehr oder weniger eine Dienstreise ist, von Freiheit spreche. Aber die Vereinbarung von Familie und Beruf bringt zwangsläufig einen sehr durchgetakteten Tagesablauf mit sich. Zeit für einen selbst bleibt nur selten. Selbst die Telefonate und Treffen mit Freunden stellen – so gerne man diesen auch nachkommt – eine Art Verpflichtung dar. Die Verpflichtung nämlich, das eigene soziale Netzwerk zu pflegen. Während man früher an einem Samstagnachmittag gemütlich durch die Kölner Innenstadt bummelte und hier und da etwas Nettes einkaufte, würde ich solche Stunden heute als Extrem-Shopping bezeichnen: Auf der Einkaufsliste steht neben dem eigenen Paar Schuhen, wegen derer man eigentlich unterwegs ist, ein neuer Sonnenhut für Frieda, Pflegecrèmes im Drogeriemarkt und ein bisschen Aufschnitt im Delikatessenladen. Daheim wartet die Familie. Fällt man abends müde ins Bett, geschieht dies entweder aus völliger Erschöpfung oder dem Bewusstsein, genug schlafen zu müssen, um morgens wieder für den Tag gerüstet zu sein. Und so nimmt das Leben seinen Lauf.
    Es ist also schön, dass es Zugfahrten wie diese gibt. Ich kann selbst entscheiden, ob und wann ich ins Bistro gehe und wann und was ich lese. Um meine Freiheit noch einmal besonders auszunutzen, lasse ich mir vom vorbeikommenden Schaffner eine Tageszeitung reichen. Gleich werde ich entscheiden, ob ich sie lese oder nicht. Zwischendurch schaue ich regelmäßig auf mein Handy. Keine neue Nachricht, kein Anruf in Abwesenheit. Meine Mutter, die extra aus dem Bergischen angereist ist, um sich für die nächsten Tage um Frieda und Kalle zu kümmern, hat alles im Griff. Meine Mutter ist die einzige Person auf dieser Welt, der ich meine Tochter und meinen Mann bedingungslosanvertraue. Ich beneide sie um ihre Ausgeglichenheit und Leichtigkeit, mit der sie den Haushalt und die Familie unterstützt. Wo Mama ist, ist alles gut. Es ist ein unvorstellbares Glück, dass meine Eltern als Teil unserer Familie das Aufwachsen von Frieda begleiten können. Gerne würde ich später einmal Friedas Kindern eine so tolle Großmutter sein.
    Als ich das Handy wieder in meine Handtasche packe, kommt mir das Programmheft zum bevorstehenden Kongress in die Finger. Bisher habe ich noch keinen einzigen Blick auf die Agenda der Veranstaltung geworfen. Ich weiß lediglich, dass es sich um einen der größten Kongresse weltweit handelt. Es werden über 15.000 Besucher erwartet. Über die nächsten Tage werden im Kongresszentrum Wien um die 2.000 Fachvorträge von zum Teil hochrangigen, internationalen Spezialisten angeboten. Sicherlich werde ich den einen oder anderen Kollegen kennen. Zwei Kollegen aus meiner Abteilung werden auch vor Ort sein. Da wir im gleichen Hotel einquartiert sind, haben wir uns für den nächsten
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