Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
stärker als meine. Ich hatte aufgehört zu existieren, ich war verschwunden, auch meine Ärmel waren hochgekrempelt, ich hatte sie zurückgeschoben, als ich auf den Balkon hinausgetreten war, um mich, vor einer Weile, mit den Ellenbogen aufzustützen, aber jetzt war ich verschwunden, weil ich abermals ich war, das heißt, weil ich für sie niemand war. Am Ringfinger seiner rechten Hand trug der Mann einen Ehering wie den meinen, nur dass ich ihn an der linken Hand trug, seit zwei Wochen, kurze Zeit, ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt. Auch die Uhr, schwarz und groß, trug dieser Mann am Handgelenk desselben Armes, ich hingegen am anderen. Vermutlich war er Linkshänder. Die Mulattin trug weder eine Uhr noch Ringe. Ich dachte, dass die Gestalt dieser Person ihr während dieser ganzen Minuten halbwegs sichtbar gewesen sein musste, im Unterschied zu meiner, die voll und ganz sichtbar war, weil sie auf dem Balkon stand und die Ellbogen auf das unbewegliche Geländer gestützt hatte. Jetzt verhielt es sich umgekehrt, meine war plötzlich ausgelöscht und unsichtbar, wohingegen ich den Mann nicht sah, ebenso wenig wie Luisa, ich wandte ihr noch immer den Rücken zu. Vielleicht war dieser Mensch die ganze Zeit vor- und zurückgetreten, ohne die Türflügel zu öffnen, je nachdem, ob er sich im Visier der pflaumenfarbenen Augen der Frau auf der Straße, ihres kurzsichtigen und unschuldigen Blickes, gesehen hatte oder nicht. Er hatte, im Vorteil, wie er war, den Sichtbaren und den Unsichtbaren gespielt, beides nicht ganz, und deshalb hatte sie recht, ihre Verabredung hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihr Bescheid zu sagen, und war bereits ins Hotel gegangen, um sie gegenüber und in der Entfernung warten zu lassen, um ihr zuzusehen bei ihrem kurzen, beleidigten Hin und Her und dann bei ihrem stolpernden Näherkommen und ihrem Sturz und wie sie sich den Schuh anzog, so wie auch ich die Gelegenheit gehabt hatte, sie zu beobachten.
    Merkwürdig war, dass Miriams Reaktion ganz anders ausfiel als mir gegenüber in dem Moment, da sie mich für einen anderen gehalten hatte, für jenen Mann mit starken und behaarten und langen Armen und der Uhr und dem Ring eines Linkshänders. Als sie ihn nun mit Gewissheit sah, als sie denjenigen sah, auf den sie so lange gewartet hatte, und hörte, wie er ihren Namen sagte, machte sie keine Bewegung und rief auch nichts. Sie beschimpfte ihn nicht, noch bedrohte sie ihn, noch sagte sie zu ihm »Hab ich dich jetzt« oder »Ich bring dich um« mit nacktem Arm und ungestümen Fingern, vielleicht weil er im Unterschied zu mir, als ich er für sie war, zu ihr gesprochen oder ihren Namen gesagt hatte. Das änderte den Gesichtsausdruck der Frau: er zeigte Erleichterung, einen Augenblick lang, und dann eilte sie – fast mit einer Dankbarkeit, die keinen Adressaten hatte –, anmutiger in ihren Schritten als zuvor (als ginge sie plötzlich barfuß und als wären ihre Beine nicht so kräftig), die ihr noch verbleibenden Meter auf das Hotel zu und ging mit ihrer großen schwarzen, jetzt leicht gewordenen Tasche hinein, womit sie aus meinem Gesichtsfeld verschwand, ohne mehr Worte an mich zu richten, versöhnt mit der Welt, während sie diese Schritte tat. Die Balkontür zu meiner Linken wurde wieder geschlossen und danach wieder geöffnet und blieb angelehnt, als hätte der Luftzug sie aufgestoßen oder der Mann es sich eine Sekunde, nachdem er diese Tür geschlossen hatte, anders überlegt (denn es gab keinen Luftzug) und wüsste nicht so genau, wie er sie gern haben wollte, wenn die Frau bei ihm oben wäre, gleich darauf (die Frau dürfte jetzt die Treppen hochsteigen). Und in diesem Augenblick verließ ich endlich meinen Posten (aber es war sehr wenig Zeit vergangen, so dass Luisa noch das Gefühl haben musste, gerade aufgewacht zu sein) und machte die Lampe auf dem Nachttisch an und näherte mich bereitwillig dem Kopfende unseres Bettes, bereitwillig, aber mit Verspätung.

D ie Verspätung war mir unerklärlich, und schon damals bedauerte ich sie wirklich, nicht weil sie die geringste Folge gehabt hätte, sondern aufgrund der möglichen Bedeutung, die ich ihr aus übertriebener Gewissenhaftigkeit und übergroßem Pflichteifer heraus beimaß. Und obwohl es stimmt, dass ich diese eheliche Verspätung sogleich mit dem ersten Unbehagen in Verbindung brachte, von dem ich gesprochen habe, und mit der Tatsache, dass es mir seit unserer Heirat immer schwerer fiel, an Luisa zu denken (je körperlicher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher