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mein buch vom leben und sterben (German Edition)

mein buch vom leben und sterben (German Edition)

Titel: mein buch vom leben und sterben (German Edition)
Autoren: Dada Peng
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etwas, das ich bis zu diesem zeitpunkt nur geglaubt habe, »erfahren« lassen. und so war der augenblick , den ich in der küche stand und beobachtete, wie ein eiswürfel, dem ich einen namen gegeben hatte, schmolz, ein besonders wichtiger moment in meinem leben.
     
    womit wir wieder beim anfang der geschichte wären: wenn mir das jemand anderes erzählt hätte ...
     
    aber so ist es geschehen, und so mag ich es dir erzählen.

schreib mich voll, mein baby, mein schatz!

bitte geh du eine tasse darjeeling trinken ...
    es gibt viele gut gemeinte ratschläge und floskeln, die auch in schwierigen lebenslagen immer wieder gern zum einsatz gebracht werden. so sagten meine freunde in den letzten lebenstagen meiner mutter immer wieder zu mir: »es ist doch so schön, dass du jetzt bei deiner mutter bist, das freut sie und macht es ihr vielleicht ein wenig leichter ...« ich fühlte mich bei diesen sätzen regelmäßig mies, denn ich wünschte mir wirklich nichts mehr, als einfach nur nachhause zu fahren, mich auf ein kölsch im biergarten zu treffen und meine mutter alleine zu lassen.
     
    bei meinem vater war es damals ganz anders. an seinem bett wollte ich sitzen und wache halten. nächtelang habe ich einfach nur neben ihm gesessen und aufgeschrieben, was ich fühlte, habe seine hand gehalten und genau das auch selbst als tröstend empfunden.
     
    bei meiner mutter hatte ich eigentlich nur das gefühl, ich geh’ ihr auf den sack.
     
    doch dazu zu stehen und es laut auszusprechen, war in der situation irgendwie nicht möglich. wenn ich nur andeutungen in diese richtung machte, so hieß es nicht selten: »jede mutter freut sich doch, wenn ihr kind da ist.« und heute möchte ich voller befreiung und freude laut rufen: nein, das tut sie nicht! und das muss sie auch nicht! das hat sich irgendwann mal irgendwer ausgedacht, und seitdem wird es von generation zu generation weitergegeben, ohne genauer hinzusehen, ob das mit der eigenen realität übereinstimmt oder eben nicht. unser bauchgefühl täuscht uns nicht. wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, dann können wir ihm vertrauen.
     
    meine mutter hatte so viel mit sich selbst zu tun, als sie auf einmal bemerkte, dass sie vorangehen muss, dass es ab hier kein zurück mehr gibt, dass ihr bindungen wie zu einem partner, zum sohn und auch die mutterrolle völlig gleichgültig wurden.
     
    den letzten weg, also das letzte stück, wenn man seine augen schließt und sich aufmacht, um loszugehen in dieses neue unbekannte land, den gehen wir halt alle alleine. da kann uns dann niemand mehr begleiten.
     
    schon in meiner zeit im hospiz sind mir immer wieder hinterbliebene begegnet, die völlig verzweifelt waren, da sie nacht um nacht am bett ihres sterbenden mannes oder vaters oder freundes gesessen hatten. und als sie dann mal für fünf minuten den raum verließen, um einen kaffee oder einen tee zu holen, nutzte dieser die gelegenheit zu sterben.
     
    der letzte weg ist kein leichter, sicher schon gar nicht für den, der ihn gehen muss. ich glaube, dass viele von uns diesen in aller ruhe und ohne eine hand gehalten zu bekommen, die einen festhält, gehen wollen und werden. wenn zu lebzeiten alles gesagt und getan wurde, wenn man so geliebt hat, wie man konnte, dann ist da vielleicht kein bedürfnis mehr nach nähe oder nach einer helfenden hand. der sterbende geht ja voran. wie soll jemand, der viel weiter auf dem weg zurück steht, dem vorangehenden weiter nach vorne helfen können? eigentlich kann er ihn nur zurückziehen, ihn entschleunigen, ihn langsamer machen, ihn »festhalten«.
     
    meine erkenntnis aus diesem ganzen ist die: wenn wir jemanden, den wir lieben, auf seinem weg zwischen leben und tod unterstützen wollen,
so sollten wir ihm diese unterstützung zu seinen lebzeiten zukommen lassen, und zwar genau so, als säßen wir neben ihm am sterbebett.
     
    es mag sicherlich auch situationen geben, in denen ein sterbender ganz bewusst die gegenwart seiner liebenden wahrnimmt und sie sucht. vielleicht besonders dann, wenn er zeitlebens immer sehr viel nähe empfunden hat, gerne körperkontakt hatte. man könnte vielleicht sagen: wir sterben so, wie wir gelebt haben.
     
    ich habe durch die begleitung meiner mutter gelernt, dass man manchmal am liebevollsten sein kann, wenn man einfach geht. der respekt vor dem wunsch des anderen ist wichtig – denjenigen alleine zu lassen, der alleine sein möchte. dabei dann kein schlechtes gewissen zu haben, ist die
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