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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen
Autoren: Christa Wolf
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lägen sicher in ihren Fähigkeiten als Frau, wer wolle es mir verargen, daß ich sie genutzt hätte. Aber dadurch sei ich natürlich voreingenommen. Ich hätte ihm ins Gesicht schlagen mögen. Statt dessen setzte ich mich und blickte kaum noch auf, geschweige, daß ich noch einmal das Wort ergriff. Es war ja alles abgesprochen. Sie redeten mit verteilten Rollen. Das Urteil stand fest. Ich weiß nicht, wozu sie dieses Theater noch brauchten. Sie stellten sich, als nähmen sie es ernst.
    Warum bin ich dann noch einmal zu ihr gegangen. Warum habe ich mir das nicht erspart. Sie war dabei, ihr Bündel zusammenzupacken. Sie blickte kaum auf. Ach Jason, sagte sie. Soll ich dir auch noch ein gutes Gewissen verschaffen. Dabei wollte ich ihr nur erklären, wie alles gelaufen war und daß einer wie ich nichts machen konnte. Sie lachte auf. Einer wie du, sagte sie, dem man demnächst die Tochter des Königs zur Frau geben wird. Aber das sag ich dir, du, tu der Glauke nichts an. Die liebt dich nämlich, und sie ist zart, sehr zart. Eine Königin allerdings ist sie nicht, und du, mein lieber Jason, bist kein König für Korinth, und das ist das Beste, was ich von dir jetzt noch sagen kann. Freude wirst du nicht daran haben. Überhaupt wirst du nicht mehr viel Freude haben. Es ist so eingerichtet, daß nicht nur die, die Unrecht erdulden müssen, auch die, die Unrecht tun, ihres Lebens nicht froh werden. Überhaupt frage ich mich, ob die Lust, andere Leben zu zerstören, nicht daher kommt, daß man am eigenen Leben so wenig Lust und Freude hat.
    So hat sie geredet, und ich wurde immer wütender. Da setzt man sich über Verbote hinweg und muß sich dann in eine Reihe stellen lassen mit den finsteren Figuren um Akamas, mit diesem in seiner Eitelkeit zügellosen Presbon, der als Zeuge in den Rat geladen war und sich vor Wichtigtuerei nicht zu bremsen wußte. Ich hatte ihn lange nicht gesehen und war abgestoßen von seinen zerlaufenen Gesichtszügen. Er war zu jeder Aussage gegen Medea bereit. Die Mitglieder des Rates konnten sich mit verächtlichem Behagen anhören, wie die Angeklagte von einem ihrer Landsleute mit unflätigen Ausdrücken beschimpft wurde. Diese Sprache istim Palast nicht üblich, der törichte Kerl glaubte, er könne sich alles herausnehmen, man ließ ihn hemmungslos schwadronieren, und erst, als er sich darüber empören wollte, daß Medea die Korinther hinderte, alle Gefangenen im Tempel zu töten, schnitt Akamas ihm das Wort ab: Genug!, und Presbon klappte seinen törichten Mund zu. Er hat seine Schuldigkeit getan. Seine Zeit neigt sich dem Ende zu, er weiß es bloß noch nicht. Ich aber, ich habe in der Nähe des Königs gelernt, die Anzeichen zu deuten.
    Anders Agameda. Sie ist klüger als Presbon. Das Königshaus von Korinth hätte sich keine überzeugendere Anklägerin gegen Medea wünschen können, gerade weil Agameda sich hütete, ein einziges Wort der Verdächtigung oder gar der Bezichtigung gegen die Todfeindin fallenzulassen. Wider Willen mußte ich sie bewundern. Sie brachte es fertig zu verbergen, daß sie Medea haßt, daß sie ihre Rivalin ist, solange sie in den Mauern dieser Stadt lebt. Ich begriff: Für beide Frauen ist in dieser Stadt kein Platz. Agameda hätte dafür gesprochen, Medea zu steinigen, wenn es nicht das Mittel der Verbannung gäbe, das oft genug dem Todesurteil gleichkommt, ich sah kalte Mordlust in ihren Augen, während sie, äußerlich beherrscht, ein Bild vom Leben und Treiben Medeas in Korinth entwarf, sehr ähnlich der Medea, die wir kennen, nur daß sie jede ihrer Handlungen und Unterlassungen so umdeutete, daß am Ende eine Person vor uns erstand, die seit langem planmäßig den Untergang des Königshauses von Korinth betrieb. Einmal mußte ich auflachen, als sie Medeas Sorge um Glauke ein besonders perfides Mittel nannte, an ihr Ziel zu gelangen. Da belehrten mich die Blicke deranderen, wie unpassend mein Lachen war. Glauke neben mir verzog keine Miene. Und das Lachen verging mir, als Agameda behauptete, auch mich habe Medea benutzt, um in den inneren Bereich des Königshauses einzudringen, indem sie mich im Glauben ließ, sie sei meine Frau und ich sei ihr Mann, während sie ihren Bedürfnissen längst anderweitig nachgegangen sei. Da saß ich wie ein begossener Pudel und mußte mir den Namen des Liebhabers von Medea anhören, denn Agameda hatte auf jede Nachfrage eine Antwort, und zu jeder Behauptung hielt sie die fälligen Namen und die Schilderung der genauen Umstände
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