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Maxi "Tippkick" Maximilian

Maxi "Tippkick" Maximilian

Titel: Maxi "Tippkick" Maximilian
Autoren: Joachim Masannek
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gab mir auch meine Chance. Bis um halb drei, so wie jede Nacht, würde mein Vater noch arbeiten und bis dahin läge ich längst ganz brav und unschuldig in meinem Bett.
    Meinen Ausflug hatte niemand bemerkt. Selbst das Gartentor stand noch den Spalt breit offen, den ich brauchte, um mit meinem Fahrrad hindurchschlüpfen zu können, ohne dass es knarrte und quietschte. Das Seil am Apfelbaum vor der Garage hing wie immer im Efeu versteckt. Ich zog mich an ihm hinauf und fand die kleine dreisprossige Leiter, so wie es sein sollte, auf dem Garagendach. Über die stieg ich zum Klofenster hoch. Ich tat das ganz routiniert, wie im Schlaf. Seitdem Fabi mir diesen Weg gezeigt hatte, hatte ich ihn schon zigmal benutzt. Ja, und nur das erste Mal hatte mich mein Vater erwischt. Damals, als ich vom ersten Training für das alles entscheidende Match um den Teufelstopf , der damals noch Bolzplatz hieß, von der Wiese am Fluss zurückgekehrt war. Der legendären Wiese am Fluss, an dem heute das Winterlagerfeuer gebrannt hatte. Damals hatte mein Vater auf dem Klo gesessen und mich bei meiner Rückkehr erwischt.
    Doch warum dachte ich gerade jetzt daran? Das Badezimmer war dunkel und das Fenster war angelehnt. So sollte es jedenfalls sein, und leise und sachte drückte ich es nach innen. Doch der Fensterflügel gab diesmal nicht nach. Schlotterbein und Tarzanschrei! Ich drückte noch fester. Dann rüttelte ich, und dann erst sah ich den Zettel, der zwischen Flügel und Rahmen eingeklemmt war:
    Bitte, Max!
    Benutze doch diesmal Haustür und Klingel.
    So wie es sich gehört.
    Mit einem Schlag war es still.
    Das Neujahrsgedicht. Die 6 für mein Schweigen. Der Schlag gegen den Spind in der Schule und das Telefonat meines Vaters mit meinem Lehrer fielen mir schlagartig ein. Wie riesige, umstürzende Türme krachten sie in mein Bewusstsein zurück. Doch das Donnern und Krachen waren nur meine Schritte auf dem Kies des Garagendachs. Den Sprung vom Apfelbaum auf die Einfahrt hielt ich fast nicht mehr aus. So laut donnerten die Füße auf den Asphalt und die Klingel an der Haustür ließ meine Trommelfelle platzen. Auf jeden Fall glaubte ich das, und dazwischen tobte mein Atem wie ein Orkan durch meinen Kopf.
    ,Schlotterbein und Tarzanschrei! So ist es also, wenn man stumm ist!‘ Dann konnte ich meinen Herzschlag von den Schritten hinter der Tür nicht mehr unterscheiden.
    Oh, wie sehr wünschte ich mir, dass es meine Mutter war, die die Türklinke drückte. Doch die Farbe des Morgenmantels hinter dem Hammerschlagglas war purpur, und die Gestalt war viel zu majestätisch und groß.
    „Komm!“
    Das war alles, was mein Vater nach einem endlos strengen Blick sagte. Dann folgte ich ihm. Die Augen auf meine Füße gerichtet, lief ich hinter ihm her durch den mahagonigetäfelten, dunklen Flur in sein Arbeitszimmer, in dem ich seit meinem dritten Lebensjahr nicht mehr war.
    Dort setzte ich mich in den Sessel vor den Schreibtisch und sackte so tief in die Polsterung ein, dass ich mit meiner Nasenspitze fast unter die Tischplatte rutschte. Von meinem Vater, der sich auf der anderen Seite in seinen Arbeitsstuhl setzte, sah ich nur noch das Adlerhorst-Augenpaar. Und das auch nur dann, wenn sich mein Blick für eine Nanosekunde von meinen Füßen befreite.

    „Nun. Wie ich sehe, wirst du wie immer nichts sagen“, sagte mein Vater, und die Verachtung, die in seiner Stimme mitklang, traf mich mitten ins Herz.
    „Du glotzt nur auf deine Schuhe, habe ich Recht? Max! Jetzt schau mich gefälligst mal an!“
    Das war keine Bitte. Das war ein Befehl. Ich schluckte und würgte und ballte die Fäuste. Dann sah ich zu ihm hinauf, über die Schreibtischkante hinweg direkt in seine Adleraugen hinein.
    „Und jetzt frage ich dich: Warum bist du so feige? Warum machst du dich vor allen zum Clown?“
    Nach diesen zwei Fragen hörte ich selbst meinen Atem und meinen Herzschlag nicht mehr. Ich hörte nur, wie mein Vater die Augen zuschlug.
    „Slig“, machte es. Dann war es unendlich still.
    Ich schaute auf das Teppichmuster neben meinen dreckigen Schuhen. Kieselsteine vom Fluss lagen verstreut um sie herum. Dann brach mein Vater die Stille: „Also gut. Das wird nie mehr passieren, hast du gehört? Du machst dich nie mehr zum Clown! Und solang es in der Schule noch Schwierigkeiten gibt, kannst du den Fußball und deine wilden Freunde vergessen. Du hast Hausarrest, und zwar unbefristet. Und der Apfelbaum vor der Garage wird morgen gefällt.“
    Mein Vater wartete
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