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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel
Autoren: Gisbert Haefs
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spätes Mittagessen, Matzbach als verzögertes Zweitfrühstück bezeichnete. Jorinde blätterte in einer Computerzeitschrift.
    »Ersetzt das jetzt bei Hexen den Besen?« sagte Matzbach.
    »Ach, halt dich doch mal zurück.«
    »Die reine Neugier, pur und lauter, edle Kebse.«
    Sie ließ das Magazin sinken. »Du bist unmöglich. Und schmatz nicht so.«
    »Das bin ich nicht, das ist der Fisch.« Matzbach deutete mit der Gabel auf den toten Zander.
    »Gute Ausrede. – Ich hab neulich einen alten Bekannten besucht, der computergesteuerte Sicherheit verkauft. Rundum-Überwachung mit Kameras und Sirenen und Drohgebärden ferngelenkter Wachhundattrappen und derlei …«
    »Bellen die auch?«
    »Die machen alles, bloß pinkeln können sie noch nicht. Jedenfalls hab ich stundenlang damit gespielt. Schon toll, was man damit alles machen kann.«
    »Alter Bekannter läßt dich stundenlang mit seinen Geräten spielen … so so.«
    »Eben. Inzwischen hab ich rausgekriegt, daß ein paar Hersteller den Esoterik-Markt entdeckt haben.«
    »Oho. Aber liegt eigentlich nahe.«
    »Wieso?«
    Matzbach kaute, schluckte und grinste schäbig. »Da bis heute keiner weiß, wie Elektrizität eigentlich funktioniert, geschweige denn, warum ein Elektron sich so verhält, wie es sich verhält, ist es doch naheliegend, eine Sorte Okkultismus auf die andere anzuwenden.«
    »Wie halt ich das bloß aus mit dir?«
    »Ganz einfach. Laß dich gehen, Liebste. Außerdem – Pack verträgt sich.«
    Sie schlug mit dem Magazin nach ihm. Dann lachte sie. »Und, um das zu beenden: Seitdem bastele ich an ein paar neuen Effekten. Computergesteuerte Projektoren, zum Beispiel, die bei Séancen das Abbild des teuren Verstorbenen in die Luft überm Tisch malen.«
    »Gibt’s das?«
    »Nee. Und jetzt laß mich lesen.«
    Matzbach nickte. »Stattgegeben. Wenn du weiter so auf mich einredest, komm ich ja nie dazu, diese köstlichen Gazetten zu genießen.«
    Jorinde reagierte nicht. Matzbach blätterte in der Lokalzeitung, nahm dann eine alternative Monatsschrift zur Hand, in der er neben Esoterik-Annoncen, einem Fahrrädertest, bekenntniswütigen Artikeln über deutschen Triefsinn und Rezensionen neuer realitätsresistenter Schriften zur Weltverbesserung auch ein interessantes Interview mit einem Namenlosen fand. Der Anonymus war ehemaliger Mitarbeiter des Gesamtdeutschen Instituts und äußerte sich gründlich und längst nicht bissig genug über Probleme der deutschen Vereinigung. 1982, kurz nach Amtsantritt, sei von der Regierung Kohl die Anweisung ergangen, keinerlei Pläne mehr für eine eventuelle Wiedervereinigung zu machen, zu erarbeiten, zu ergänzen. »Bei uns«, sagte er, »und im Ministeriumfür Innerdeutsche Beziehungen ist alles runtergefahren worden, was irgendwie damit zu tun haben könnte.« Nahezu sämtliche Probleme, die in den letzten Jahren aufgetaucht seien, habe man damals bereits gekannt, zum Teil auch Lösungsmöglichkeiten erarbeitet – im Hinblick auf eine mögliche Vereinigung. »Dann richten die zum Beispiel in Berlin einen Fonds ein mit Geld für die Gemeinden der ex-DDR. Zuteilung erfolgt nach BRD-Recht, und für Gemeindefinanzen sind bei uns Stadtkämmerer oder Gemeindedirektoren oder derlei zuständig – wie auch immer sie in den einzelnen Bundesländern heißen mögen. In der DDR fiel das in die Zuständigkeit der Bürgermeister. Und da hockt jetzt so ein armer Mann, der für seine Gemeinde dringend Knete braucht, und wartet und wartet, und nichts kommt. Dann packt er einen Koffer und fährt nach Berlin, zu diesem Fonds, weil er meint, wenn er sich als Bürgermeister der Gemeinde Soundso ausweist, kriegt er das Geld wenigstens teilweise bar. Und was sagt man ihm? ›Nee, Junge, als Bürgermeister bist du gar nicht für Geld zuständig.‹ Nach West-Recht.«
    Entweder, sagte der Namenlose, seien unsere Politiker mit ihrer Behauptung, »daß es so schlimm ist, haben wir nicht gewußt«, gnadenlos dumm, denn das stehe alles seit Jahren in den Unterlagen der in Bonn damit befaßten, inzwischen aufgelösten Institutionen; oder aber sie seien gnadenlos verlogen.
    »Seltsam«, sagte Matzbach; er legte das Heft beiseite.
    »Was ist seltsam? Beziehungsweise, was wäre denn nicht seltsam?« Jorinde hatte ihre Computerlektüre beendet und betrachtete ein paar Tauben, die einander wegen antiker Krümel beharkten.
    »Das hier.« Matzbach zeigte ihr das Interview und die Schlußformulierung des Anonymus.
    »Wenn’s stimmt, hat er doch recht,
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