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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich
Autoren: Oliver Bellamy
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und hörten auch nie auf zu streiten. Sie war Sozialistin, er Liberaler. Sie war die geborene Feministin, er war vor allem ein typischer Macho. Eines Tages gab es während einer öffentlichen Veranstaltung ein echtes Zerwürfnis zwischen ihnen – am Abend hielt er um die Hand seiner Widersacherin an. Zweifellos war dies das einzige Mal, dass sie bedingungslos »Ja« zueinander sagten. Die Hochzeit wurde am 23. November 1939 gefeiert. Sie war neunzehn Jahre alt, er dreißig. Ihre Wohnung lag in der Avenida Coronel Díaz im barrio Palermo, einem Mittelklassewohnviertel im Nordwesten von Buenos Aires, das über viele Annehmlichkeiten verfügte. Palermos charmantes Straßenbild prägen niedrige Gebäude in allen möglichen Farben und Baustilen, und es gibt eine Reihe von Grünflächen, die von dem Franzosen Charles Thays angelegt wurden.
    Juan Manuel Argerich war kein einfacher Charakter. Aus diesem Grunde wurde er auch »Tyrano« genannt. Und weil er den gleichen Vornamen trug wie Juan Manuel de Rosas, ein argentinischer caudillo des neunzehnten Jahrhunderts, der sich selbst als »Tyrann« bezeichnet hatte, bevor er aus dem Land gejagt wurde. Juan Manuel verdiente seinen Lebensunterhalt als Dozent für Wirtschaft und hin und wieder auch als Buchhalter, aber er spielte lieber mit seiner Tochter, als ins Büro zu gehen. Manchmal nahm er sie einfach zur Arbeit mit. An dem Tag, an dem ihm sein Vorgesetzter deswegen Vorhaltungen machte, kündigte er. Er war ein freier Geist, nicht sehr konsequent, aber umso lebensfroher. Er schrieb Gedichte, malte, sang, spielte
Gitarre, führte philosophische Gespräche … Er hatte mit so viel Begeisterung Dostojewski und Tolstoi gelesen, dass er von den beiden Dichtern sprach, als wäre er ihnen persönlich begegnet. Mit einer unglaublichen Fantasie begabt, hatte er stets jede Menge Geschichten zu erzählen, in denen er Echtes und Erfundenes miteinander vermengte, ohne dass es irgendjemandem auffiel. Wegen seines Erzähltalents wurde er auch »pico de oro«, »Goldschnabel«, genannt – er, der als Kind gestottert hatte! Seine lockere Art und sein Charme hatten ihm zahlreiche Affären beschert und konsequenterweise ständig Streit und hässliche Szenen am heimischen Herd. Martha litt sehr unter diesen Familienkrächen, die vermutlich auch ihr späteres Verhältnis zu Männern prägten. Auf der Suche nach Partnerschaften, die Parallelverhältnisse durchaus nicht ausschlossen, hat sie nie wirklich an die Liebesschwüre ihrer Verehrer geglaubt und der Paarbeziehung stets misstraut.
    Juan Manuel hatte ein besonderes Faible für kleine Kinder. Wenn sie dann größer wurden, interessierten sie ihn meist nicht mehr so sehr. Er war derjenige, der seiner Tochter das Laufen beibrachte und der sie abends in die Badewanne steckte. Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass er sie manchmal mitten in der Nacht aufweckte, wenn er von seinen Kneipentouren heimkam, um ihr Geschichten zu erzählen, während er Tomaten mit Zwiebeln zubereitete, die sie dann gemeinsam von einem Teller verzehrten.
    Juanita war das genaue Gegenteil ihres Mannes. Er war der Müßiggänger, der Verführer mit den zahlreichen Talenten, sie war das Arbeitstier, mit einem eisernen Willen ausgestattet und keineswegs darauf bedacht, anderen zu gefallen. Es gab Zeiten, da hatte Juanita drei Jobs gleichzeitig, während Juan Manuel fröhlich in den Tag hinein lebte.
    Vermutlich hat Juanita nie einen anderen Mann als den ihren näher kennengelernt. Alles, was eine gewisse Zweideutigkeit besaß, ging völlig an ihr vorbei. Witze und sexuelle Anspielungen verstand sie nicht. Morgens vor dem Spiegel kämmte sie immer nur die vordere Partie ihres Haarschopfs – nie die hintere –, was ihr ein gleichermaßen schauriges wie komisches Aussehen verlieh. Möglicherweise auch als Folge ihrer einsamen Kindheit hatte sie etwas Kauziges an sich und war sehr zerstreut.
    Juanita war auf die Welt gekommen, um Berge zu versetzen und Meere zu teilen. Fast schon eine fanatische Sozialistin, wurde sie von einem Gerechtigkeitssinn geleitet, der keine Ausnahmen gestattete. Wenn diese außergewöhnliche Frau sich in den Kopf gesetzt hatte, jemandem zu helfen, dann ließ sie sich durch nichts aufhalten. Wurde ein Visum benötigt, rief sie, wenn es sein musste, hundertmal in der Botschaft an, bedrängte das diplomatische Personal, setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Wenn man ihr die Tür vor der Nase zuknallte, kletterte sie durchs Fenster, im Bewusstsein
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