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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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Unterwäsche wechseln können.
    Unser Zimmer wird beherrscht von einem wahr-
    haft Furcht einflößenden neorealistischen Gemälde,
    das einen weinenden Jungen zeigt. Auf meine Frage,
    wer das sei, antwortet die Nonna, dass sie es nicht wisse. Warum er denn weine, frage ich weiter. Weil er nicht im Wohnzimmer hängen darf. Aha. Und warum
    darf er nicht dort hängen? Langsam nervt sie die
    Fragerei. Weil da schon der andere Junge hängt. In
    ihrem Wohnzimmer gibt es tatsächlich ein weiteres
    Bild von einem Jungen, der ein Glas Milch in der
    Hand hält und ebenfalls weint. Äh, und warum
    weint der Junge mit der Milch? Weil er keine Milch
    leiden kann, aber seine Mutter zwingt ihn dazu, sie zu trinken. Basta. Nonnas kleines Universum ist sehr melancholisch. Andere Bilder zeigen Landschaften in Molise, einen Fischer, der einsam in seinem Boot
    sitzt, oder Padre Pio beim Beten.
    Abends, es ist schon dunkel und Sara und ich
    kehren von einem Spaziergang zurück, kommen
    Antonio und Ursula an. Wir sehen sie erst nicht, aber wir hören sie, weil Antonio schon drei Straßen
    entfernt zu hupen beginnt. Also gehen alle aus dem
    Haus, und als Antonio um die Ecke biegt, klatschen
    sogar die Nachbarn auf ihren Baikonen. Antonio
    winkt aus dem Fenster und sagt: »Mein Gott, was für eine Fahrt, lange mache ich das nicht mehr mit.«
    Auf der anderen Seite steigt Ursula aus, die sofort ins Bett geht.
    »Weiße auch nicht, was mit ihr los iste. War eigentliche eine sehr ruhige Reise«, kommentiert Antonio
    achselzuckend.
    Nachdem ich – wer sonst? – das Gepäck meiner
    Schwiegereltern hineingetragen habe, kommen ein
    paar nahe Verwandte zum Abendessen. Alle sind
    neugierig auf mich. Deutsche sind nämlich in Italien eine Attraktion. Jedenfalls dort, wo es keine
    Touristen gibt.
    Zuerst erscheinen Egidio, Maria und deren Sohn
    Marco. Das ist der Lieblingscousin meiner Frau.
    Maria ist die kleine Schwester von Antonio, Egidio
    ist ihr Gatte, ein bärenhafter Neapolitaner, der mir sofort sympathisch ist, weil er zur Begrüßung die
    drei deutschen Ausdrücke anstimmt, die er kennt,
    nämlich »Kartoffel«, »Blitzkrieg« und »Guten Tag«.
    Kurz darauf treffen Antonios Brüder Raffaele und
    Matteo ein, die verwirrenderweise ebenfalls beide
    mit einer Maria verheiratet sind. Deren Kinder
    bleiben ebenso zu Hause wie Tante Lidia, die in
    Ungnade gefallen ist, was später noch ein Thema
    wird. Mir ist es ganz recht, dass nicht über sie
    gesprochen wird, weil ich mir ohnehin schon
    ziemlich viele Namen merken muss.
    Außerdem reicht mein Speisekarten-Italienisch nur
    bis Florenz. Dahinter ist Schluss, finito, ich verstehe nicht ein Wort, denn hier wird ein Dialekt gesprochen, der nicht einmal Italienern ohne weiteres zu-
    gänglich ist. Es handelt sich um Neapolitanisch mit Bergeinschlag, vergleichbar wahrscheinlich mit han-seatischem Schwäbeln. Antonio zum Beispiel heißt
    hier Andò, was auf der zweiten Silbe betont und mit einem »o« wie in »Knopf« oder »Topf« ausgesprochen
    wird. »Arrivederci« spricht man hier »achwidetsch«, manchmal sogar nur »achwid« aus und »tedesco«
    klingt wie »teddesch«. Endungen sind zum Ver-
    schlucken da. Meistens sprechen zudem alle gleich-
    zeitig, was es mir erschwert, wenigstens die Rah-
    menhandlung zu verstehen.
    Zum Glück ist meine Frau bei mir, die alles brav
    übersetzt. Ob es mir hier gefällt, ob ich den Süden mag, welche Fußballvereine ich kenne, ob ich in die Kirche gehe. Irgendwie habe ich den Eindruck, als
    interessierten sich diese netten Menschen mehr für
    ihre Fragen als für meine Antworten. Jedenfalls
    gehen sie nie darauf ein, sondern wechseln immer
    wieder behände das Thema.
    Dann gibt es Abendessen. Der Vorgang der Nah-
    rungsaufnahme an sich ist in meiner Familie dabei
    eigentlich Nebensache und findet eher beiläufig statt.
    Reden ist viel wichtiger. Folgender Dialog ist das
    Mantra italienischen Familienlebens, ich habe ihn
    seit meinem ersten Besuch immer wieder durchlebt:
    Er beginnt immer mit einer scheinbar einfachen
    Frage, die ich höflich beantworte.
    »Möchtest du noch von dem Schinken?«
    »Nein danke. Ich bin satt.«
    »Es schmeckt dir nicht.«
    »Doch, doch, es war toll, aber ich kann nicht mehr, wirklich.«
    »Maria, ihm schmeckt’s nicht.«
    »Doch, wirklich, es schmeckt vorzüglich.«
    »Na, dann iss doch noch was.«
    »Gut, ich, äh, esse vielleicht noch etwas Käse.«
    »Na also. Und eine bistecca?«
    »Um Himmels willen, nein danke. Ich kann
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